Palästinenser*Innen bei der Covid-19-Impfung nicht benachteiligen

Palästinenser*Innen bei der Covid-19-Impfung nicht benachteiligen
Ein Appell der
Deutsch-Palästinensischen Gesellschaft e.V., des Palästina-Forum, Bonn und der Gesellschaft Schweiz-Palästina an die Bundesregierung

Sehr geehrte Frau Bundeskanzlerin,

unsere Partnerorganisation und wir möchten an Sie eindringlich appellieren, Ihren Einfluss geltend zu machen, um dafür zu sorgen, dass die palästinensische Bevölkerung in der von Israel besetzten Westbank und im faktisch ebenfalls besetzten und unter langjähriger Blockade leidenden Gazastreifen möglichst sofort in den Stand gesetzt wird, sich in der gleichen Quantität und Qualität wie die israelische Bevölkerung selbst gegen Covid-19 impfen zu lassen.

Die palästinensische Führung und mehrere Nichtregierungsorganisationen wie Amnesty International beschweren sich darüber, dass Israel zwar seine Bevölkerung im Rekordtempo gegen das Corona Virus impfen lässt, seine rechtlichen und moralischen Pflichten gegenüber den Palästinensern hingegen grob vernachlässige.

Als Besatzungsmacht verstößt Israel gegen geltendes internationales Recht, solange es nicht unverzüglich seiner Verantwortung gegenüber den besetzten Gebieten auch im medizinischen-hygienischen Bereich gerecht wird.  Die Versorgung der palästinensischen Bevölkerung mit dem Impfstoff sowie mit der dazugehörigen notwendigen Ausrüstung für Tests, Schutz, Pflege und Medikamente ist nicht nur aus humanitären Gesichtspunkten und entsprechend Art. 55 der IV. Genfer Konvention geboten. Sie liegt auch im eigenen Interesse Israel.

Im Übrigen: Eine Sprecherin des Auswärtigen Amts erklärte dazu auf die Frage eines Journalisten auf der Bundespressekonferenz vom 18. Januar:

„Ich persönlich habe von diesen konkreten Äußerungen der NGOs keine Kenntnis. Was das Thema des Impfens anbelangt, habe ich im Kopf, dass Israel gerade gestern angekündigt hat, palästinensische Gefangene mitzuimpfen. Zum Thema einer Zusammenarbeit zwischen Israel und der palästinensischen Seite beim Impfen hat sich der Außenminister schon geäußert. Alles, was einer Zusammenarbeit dort förderlich ist und auch im Rahmen von COVAX, der internationalen Impfinitiative, eine gerechte Verteilung fördert, begrüßen wir sehr. Wir rufen alle Staaten auf, sich zum Beispiel im Rahmen dieser internationalen Allianz daran zu beteiligen, dass Impfstoffe fair und schnell weltweit verteilt werden.“

Für Ihre Bemühungen danken wir Ihnen vom Herzen im Voraus.

Dieses Schreiben als PDF zum Ausdrucken oder Weiterversenden

Abkommen der Golfstaaten mit Israel

18.09.2020

Abkommen der Golfstaaten mit Israel

Die Abkommen zwischen den Vereinigten Arabischen Emiraten (VAE) und dem Königreich Bahrain und Israel sind auf Geheiß des amerikanischen Präsidenten Donald Trump und auf Wunsch des israelischen Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu zustande gekommen. Die Bekanntmachung und die Unterzeichnung der Abkommen, die angeblich den Frieden im Nahen Osten einläuten sollen, fallen zu einem für Trump wichtigen Zeitpunkt, nämlich kurz vor der amerikanischen Präsidentschaftswahl. Der durch seine undiplomatische Art und Weise sogar auf internationaler Ebene in Kritik geratene Trump (auf nationaler Ebene hat erst die Corona Politik und auch die Reaktionen auf den Tod des schwarzen George Floyd ihm geschadet) will seine israelfreundlichen Wähler, die Evangelikalen, mobilisieren und von seinen innenpolitischen Fehlleistungen ablenken und außenpolitisch glänzen.

Mit diesen Abkommen wird der von Jared Kushner, dem Schwiegersohn von Donald Trump, der als Jude besondere Pflichten gegenüber Israel empfindet, der so genannte „Deal des Jahrhunderts“ schleichend und auf Kosten der Palästinenser umgesetzt. 

Diese „Vermittlungspolitik“ von US-Präsident Trump hat nun die arabische Welt grundlegend verändert. Israel schließt die Abkommen ab und spricht von Friedensvereinbarungen als stünden die Golfstaaten mit Israel im Krieg. Dabei verlassen die VAE und Bahrain den bis dahin verbindlichen panarabischen Konsens, wonach jede Normalisierung staatlicher Beziehungen an eine Zwei-Staaten-Lösung zwischen Israel und den Palästinensern gekoppelt sein muss. Netanjahu feiert die Aufnahme diplomatischer Beziehungen mit den VAE und Bahrain als einen historischen Erfolg seiner Politik. Israel hatte indes wahrlich eine durchaus bessere Option als seine diplomatische Anerkennung durch zwei Golfstaaten. Die Staatschefs von 56 arabischen und islamischen Staaten waren bereit, normale Beziehungen zu Israel aufzunehmen, wenn es den von Saudi-Arabien ausgearbeiteten Friedensplan von 2002 akzeptiert hätte. Der Plan sieht immer noch vor, dass die arabische und islamische Welt ihre Beziehungen zu Israel normalisieren, wenn sich Israel auf seine Grenzen vor dem Sechs-Tage-Krieg von 1967 zurückzieht und die Besatzung beendet. Außerdem umfasst der Plan die Gründung eines Palästinenserstaates wie sie in den internationalen Abkommen vorgesehen war. Israel hat eine historische Chance verpasst;  es hat nie auf diesen Plan reagiert. Dass die neue Beziehung zwischen Israel und den VAE zur Beruhigung der Palästinenser die vorgesehene Annexion stoppt, ist eine Mär, da Netanjahu jetzt schon von deren Verschiebung spricht. Bleibt zu hoffen, dass Trump nicht den Friedensnobelpreis für diesen Verrat an den Palästinensern erhält. 

Eine heftige palästinensische Protestresolution gegen die Anerkennung Israels durch die Golfstaaten fand bei einem Treffen der Arabischen Liga in Kairo keine Mehrheit. Stattdessen mehren sich die Anzeichen, dass weitere Staaten wie Oman, Kuwait und Saudi-Arabien ähnliche Abkommen mit Israel schließen könnten. Selbst das von den Golfstaaten isolierte Katar kooperiert intensiv mit Israel und versorgt den Gazastreifen mit Baumaterial, Lebensmitteln und Treibstoff.

Es ist eindeutig erkennbar, dass die USA und Israel den Aufbau einer Allianz mit diesen arabischen Staaten gegen Iran verfolgen. Alle zusammen scheren sich nicht mehr um das Schicksal der Palästinenser oder die Entwicklung der Palästinensergebiete. Und wenn Trump etwas erreicht hat, dann ist es, dass es ihm gelungen ist, die Palästinensische Autonomie-Behörde (PA) geschickt ins Abseits zu manövrieren. Die zu schwache PA hat sich allerdings mit der Ankündigung weiterer Annexionspläne im Westjordanland und im Jordantal selbst als Gesprächspartner herauskatapultiert, was Trump und Netanjahu durchaus erwarteten.

Mit der Anerkennung Israels durch die arabischen Golfstaaten erfährt Israel eine zusätzliche Aufwertung, da diese den Staat Israel ohne Festlegung von Grenzen akzeptieren und somit den Kushner-Plan vorbehaltlos bestätigen. Dieses beinhaltet die vollständige Negierung palästinensischer Rechtsansprüche auf Ostjerusalem und die faktische Annullierung der Zwei-Staaten-Lösung in den international festgelegten Grenzen von vor 1967. Mit seinen Alleingängen hat der egozentrische „Friedensfürst“ Donald Trump Jerusalem als Hauptstadt Israels anerkannt, die US-Botschaft dorthin verlegt, Israels Anspruch auf die Golanhöhen (welch eine Ironie, jetzt Trump-Höhen genannt) anerkannt, weitere Annexionen freigegeben und den Palästinensern einen inakzeptablen „Nahost-Friedensplan“ mit einem eigenen Staat, der nur abgelehnt werden konnte, in Aussicht gestellt. Der von Trump und Israel angebotene Staat Palästina würde sich nicht in den Grenzen vor 1967 mit der Hauptstadt Ostjerusalem, sondern zerstückelt in vielen Teilen, auch südlich vom Gazastreifen, ohne jegliche Außengrenzen und eigene Souveränität befinden (siehe Plan).

Frieden zwischen Israelis und Palästinensern ist unserer Auffassung nach durchaus möglich, wenn die internationalen Absprachen der Zwei-Staaten-Lösung umgesetzt werden und nicht ständig die Schaffung vollendeter Tatsachen hingenommen wird, ebenso Völkerrechtsverletzungen ignoriert werden und insbesondere die international verbrieften Rechte der Palästinenser missachtet werden.

Trump und Netanjahu schließen Abkommen zwischen Israel und den reichen Golfstaaten nur um ihre eigenen Interessen zu verfolgen und den so genannten „Jahrhundertdeal“ umzusetzen,  wobei die Palästinenser um Anerkennung all ihrer Rechte betrogen werden und obendrein die Israel/Palästina bezogenen zahlreichen Resolutionen des Sicherheitsrats und der GA der Vereinten Nationen ignoriert werden. Hier geht es primär um Geldgeschäfte und um den Aufbau einer Allianz gegen den Iran, keine Voraussetzung also für das suggerierte vorgetäuschte Einläuten von Frieden im Nahen Osten. Diese Staaten schaffen es nicht einmal die Kriege in Syrien, Libyen oder im armen Jemen zu beenden.

Nazih Musharbash

“Deal of the Century” – Raif Hussein im Interview

„Deal of the Century“ – Raif Hussein im Interview

Veröffentlicht am 2. Februar 2020

Der „Jahrhundertdeal“, verkündet am 28. Januar vom amerikanischen Präsidenten, nützt den bedrängten Wahlkämpfern Trump und Netanyahu, den rechten und nationalistischen Kräften in Israel und trifft ansonsten ausschließlich auf breite Ablehnung. Was der angebliche Friedensplan für die Palästinenser bedeutet, erläutert Dr. Raif Hussein in diesem Interview. Er ist israelischer Palästinenser, politischer Aktivist, Politologe, erfolgreicher Buchautor; er war u.a. Berater für die Gemeinsame Palästinensische Liste in Israel und langjähriger Präsident der Deutsch-Palästinensischen Gesellschaft. Das Interview führte Dr. Detlef Griesche (Vizepräsident der DPG) anlässlich eines Vortrages am 30. Januar 2020 in Bremen.

Der Vortrag war lange vor der Verkündung des „Deal of the Century“ geplant und hatte den Titel: „Der politische Islam in Palästina – am Beispiel der islamistischen Bewegung HAMAS“. Im gut besuchten Saal der Weserterrassen am Osterdeich erläuterte der renommierte Nahost-Experte Raif Hussein die aktuelle Entwicklung, ging aber auch weit in die Geschichte zurück. Er zeichnet die ideologische und politische Entwicklung der HAMAS vom Absolutismus zum Pragmatismus nach und erörterte die auch in unseren Medien oft sehr oberflächlich beschriebenen Beziehungen zu einem möglichen Friedensprozess. Insbesondere wurde das innerpalästinensische Problem des Verhältnisses zu den anderen Gruppierungen in Gaza und zur Palästinensischen Authorität hinterfragt und differenziert über die Wahlen, die Putsche und die Kriege mit Israel diskutiert. Eine intensive Diskussion schloss sich an.

Raif Hussein wurde als Palästinenser in Israel geboren, ging in Israel bis zum Abitur zur Schule und begann in Hannover an der Universität ein Physikstudium, später ein Studium in Politikwissenschaft und Soziologie mit Magister Artium Abschluss. Er ist selbständig als Consulter und beriet bei den letzten Wahlen in Israel den Zusammenschluss der gemeinsamen Palästinensischen Liste. Von 2001-2009 war er Vorsitzender der NAJDEH Soziale Hilfsorganisation für die Palästinenser, von 2010-2018 Präsident der Deutsch-Palästinensischen Gesellschaft e.V. (DPG), von 2008-2016 Vorsitzender der Palästinensischen Gemeinde Deutschland (PGD). Er hat zum Thema mehrere Veröffentlichungen in Deutsch und Französisch. Die 2019 als Buch erschienene Dissertation hat den Titel des Vortrages.

 

 

Nazih Musharbash zum Vortrag von Shir Hever

Grußwort von Nazih Musharbash – DPG-Präsident

Zum Vortrag von Dr. Shir Hever „Liberale versus illiberale Demokratie – Israels Neuordnung und seine außenpolitischen Beziehungen“ am 25.04.2019 in Münster.

Liebe Freundinnen und Freunde des Friedens in Israel und in Palästina,
Münster und Osnabrück sind als Friedensstädte und für ihre Haltung für Frieden, Meinungsfreiheit und Menschenrechte weltweit bekannt. Dass die heutige Veranstaltung in Kooperation durchgeführt wird, ist ein Ausdruck der Botschaft des Westfälischen Friedens.

Als Mitveranstalter darf ich namentlich und dankend erwähnen: Telgter Arbeitskreis Israel-Palästina, Institut für Palästinakunde e.V. Bonn, Deutsch-Palästinensische Gesellschaft e.V., EineWeltNetz NRW, Gesellschaft für bedrohte Völker und Eine Welt Forum Münster.

Wir können stolz sein auf eine lebendige Friedenskultur unserer Städte.
Anders als in anderen Städten bundesweit können Veranstaltungen mit Themen, die woanders in der Republik nicht zugelassen oder gar abgesetzt werden, hier öffentlich ausgeschrieben und ohne Protest durchgeführt werden. Denn zu einer Friedenskultur gehört zwangsläufig eine sachlich und kontrovers geführte Diskussion. Hier hat man längst verstanden, dass eine an Politikern und Regierungen geäußerte Kritik niemals gegen Menschen oder Religionen gerichtet ist.

Deshalb haben wir von der Deutsch-Palästinensischen Gesellschaft kein Versändnis für die mittlerweile in Deutschland gängig gewordene Praxis, dass jegliche Kritik an Israels Regierung automatisch als antisemitisch eingestuft und deshalb verhindert wird.

Israel ist stolz gewesen als die einzige Demokratie im Nahen Osten genannt zu werden. Doch der verdrängte Konflikt, ob der Staat zugleich jüdisch und demokratisch sein kann, ist spätestens durch die Verabschiedung des israelischen Nationalstaatsgesetzes Ende letzten Jahres offenkundiger als je zuvor. Netanjahu hat es unmissverständlich so formuliert: „Israel ist nicht der Staat all seiner Bürger. Israel ist der Nationalstaat allein des jüdischen Volkes.“

Netanjahu und seine Regierung wollen demnach alleine bestimmen, wer ein wahrer Jude ist. Eine Anmaßung und Beleidigung von Millionen von Juden auf der ganzen Welt, die Israels Politik kritisch gegenüber stehen.

Unser Referent, dem ich an dieser Stelle für seine Aufrichtigkeit und klare Position in der Einhaltung von Meinungsfreiheit und Menschenrecht und für dessen Kampf zur Beendigung der israelischen Besatzung herzlich danke, ist, mit Sicherheit als Kritiker der heutigen israelischen Politik, kein angenehmer Jude für den Theokraten Netanjahu.

Die neue rechtsnationalistische Regierung wird alle mit den Palästinensern verhandelten Übereinkünfte wie etwa die Zweistaatenlösung weiterhin infrage stellen. Netanjahu versprach zudem Teile des besetzten Palästinas zu annektieren.

Liebe Gäste,
der mittlerweile über 100 Jahre andauernde Streit um Palästina, oft als Konflikt verharmlost, wird durch die tobenden Gewaltausbrüche und Kriege im Nahen Osten überlagert und überschattet. Die seit über 50 Jahren bestehende Besetzung des noch nicht gegründeten Palästinas in den Grenzen von 1967 wird zunehmend und einseitig von Israel zementiert. Das Leben der palästinensischen Zivilbevölkerung wird immer schwieriger. Fatale Entscheidungen wie sie der US-Präsident vor kurzem getroffen hat, beschleunigen die Gewaltspirale, die wir als Friedensaktivisten eigentlich stoppen wollen.

Sehr geehrte Damen und Herren,
die Solidarität mit dem entrechteten palästinensischen Volk mit seinem Bestreben nach Frieden, Anspruch auf Freiheit und Wunsch auf Selbstbestimmung, richtet sich nicht gegen das Existenzrecht des Staates Israel. Mit unserem gemeinsamen Anliegen, uns verstärkt für den Frieden einzusetzen, möchten wir Sie zugleich als Freunde Israels und als Freunde Palästinas gewinnen. Nicht zuletzt und vor allem im Interesse Israels sollte die Besatzung beendet werden, bevor Israel dauerhaft eine Besatzungsmacht bleibt.

Die Spirale der Gewalt im so genannten „Heiligen Land“ kann erst beendet werden, wenn Palästinenser und jüdische Israelis jeweils zwei Dinge verinnerlichen und respektieren:

• Jeder Jude auf der Welt, egal wo er lebt, lebt mit der Vernichtungsangst.
• Die Shoa ist Teil der jüdischen Identität.
Das muss jeder Araber, jeder Palästinenser verinnerlichen und respektieren.

• Jeder Palästinenser, egal wo er lebt, lebt mit der Vertreibungsangst.
• Die Nakba ist Teil der palästinensischen Identität.
Das muss jeder Israeli, jeder Jude verinnerlichen und respektieren.

Nur wenn dies der Fall ist, erst dann können wir über ein friedliches, gerechtes und friedvolles Zusammenleben debattieren und eine ehrliche völkerrechtliche Lösung erreichen.

 

GIDEON LEVY über die ISRAEL LOBBY

Deutsche Übersetzung der Rede von Gideon Levy über die Israel Lobby in Washington DC am 10. April 2015 im “National Press Club”

Wie kann es sein, dass es bei den Israelis keinen oder kaum Widerstand gegen den israelischen Rassismus gibt? Was läuft in Israel falsch?

Wir haben es mit einer korrumpierenden Freundschaft (zur USA) zu tun. Stellen Sie sich vor, einer Ihrer Verwandten wäre drogenabhängig. Es gäbe zwei Möglichkeiten mit ihm umzugehen. Man kann ihm Geld geben und er wird sich noch mehr Drogen kaufen. Er wird Ihnen sehr dankbar sein. Er wird Ihnen sagen: “Du liebst mich, du bist mein bester Freund.” Oder man schickt ihn in ein Rehabilitationszentrum. Er wird sehr böse auf Sie sein. Was ist wirkliche Fürsorge, wirkliche Liebe, wirkliche Freundschaft?

Es gibt keine Chance für Veränderung, die aus der israelischen Gesellschaft selbst kommt.Es gibt nur Hoffnung durch ein internationales Eingreifen – Hoffnung von der USA und der EU. Denn die israelische Gesellschaft ist heute viel zu sehr einer Gehirnwäsche unterzogen, die mit der Leugnung lebt – völlig abgekoppelt von der Realität. Ginge es hier um eine Privatperson, wäre meine Empfehlung entweder Medikamente oder Krankenhausaufenthalt. Menschen, die jeden Bezug zur Realität verloren haben, können sehr gefährlich werden, für sich selbst und für die Gesellschaft. Die israelische Gesellschaft hat den Bezug zur Realität verloren. Sie hat jeden Bezug zum internationalen Umfeld verloren – tatsächlich zu glauben, 5 Millionen Juden würden es besser wissen als 6 Milliarden Menschen weltweit – tatsächlich zu glauben, 5 Millionen Juden könnten ewig mit dem Schwert in der Hand leben – tatsächlich zu glauben, im 21. Jahrhundert sei es zulässig, internationales Recht und Institutionen derart zu ignorieren.

Die Veränderung muss von der USA und der EU kommen. In Israel ist es ein hoffnungsloser Fall. Vergessen Sie es. Die israelische Gesellschaft hat sich mit Mauern abgeschirmt. Nicht nur physisch, sondern auch mental. Ich will hier nur drei Prinzipien nennen, die uns Israelis befähigen, ungestört mit dieser brutalen Realität zu leben:
1. Die meisten Israelis – wenn nicht alle – sind zutiefst davon überzeugt, dass wir das auserwählte Volk Gottes sind – und wenn wir das auserwählte Volk Gottes sind, dann haben wir das Recht zu tun, was immer wir wollen.
2. Es gab brutalere Besatzungen in der Geschichte. Es gab sogar längere – auch wenn die israelische Besatzung einen beachtlichen Rekord aufstellt. Aber nie gab es in der Geschichte eine Besatzung, in der sich die Besatzer als Opfer darstellten – nicht nur als Opfer, sondern als einzige Opfer weit und breit. Das lässt jeden Israeli mit ruhigem Gewissen leben, denn wir sind die Opfer. Neulich sprach Prof. Falk über die israelische Doppelstrategie, Opferrolle auf der einen Seite und Manipulator auf der anderen. Nach den Terrorattacken in Kopenhagen und Paris erklärte Netanjahu, alle Juden müssten nach Israel kommen, es sei der sicherste Ort für Juden weltweit, eine Zuflucht für alle Juden. Das ist falsch. Israel ist heute der gefährlichste Ort für Juden. Nur 24 Stunden später erklärte er, Israels Existenz sei durch die iranische Bombe bedroht.
3. Die dritte Wertvorstellung ist die gefährlichste. Es ist die systematische Entmenschlichung der Palästinenser, die uns Israelis mit ruhigem Gewissen leben lässt. Wenn sie keine Menschen sind wie wir, dann haben wir kein Problem mit Menschenrechten. Wenn man ein wenig an der Fassade der meisten Israelis kratzt, begegnet einem das. Kaum einer behandelt Palästinenser als gleichwertige Menschen. Wie viele Israelis haben jemals versucht sich für einen Moment in die Lage der Palästinenser zu versetzen, für einen Moment, für einen Tag? Ich will Ihnen zwei Bespiele geben, um das deutlich zu machen: Vor vielen Jahren interviewte ich den damaligen Kandidaten für das Ministerpräsidentenamt, Ehud Barak. Ich stellte ihm die Frage, die ich öfter stelle: “Herr Barak, was wäre geschehen, wenn Sie als Plästinenser geboren wären?” Und Barak gab mir die einzig ehrliche Antwort. Er sagte: “Ich wäre einer Terrororganisation beigetreten.” Was sonst hätte er tun können? Es kam zum Skandal, denn wie konnte jemand wagen, Barak zu fragen was passiert wäre, wenn er als Palästinenser geboren wäre.
Der zweite Vorfall: Während der zweiten Intifada, Djenin, die am meisten abgeriegelte Stadt in der Westbank, totale Belagerung. Ich komme aus Djenin zum Checkpoint, eine palästinensische Ambulanz mit Rotlicht parkt dort. Ich stehe hinter ihr. Kein Auto kann in jenen Tagen Djenin verlassen oder hineinfahren. Ich warte. Die Soldaten fangen an, Backgammon zu spielen, in ihrem Zelt. Ich kenne mich selbst. Es ist besser, ich vermeide die Konfrontation mit Soldaten, denn das endet immer böse. Ich bleibe also im Auto. Nach 40 Minuten hielt ich es nicht mehr aus. Ich verließ das Auto und fragte zunächst den palästinensischen Ambulanzfahrer, was los sei. Er sagte: “Das ist ihre Routine, sie lassen mich eine Stunde warten, bevor sie die Ambulanz kontrollieren.” Das konnte ich nicht länger hinnehmen, ich ging zu den Soldaten, es kam zu einer Konfrontation. Meine Frage, die sie veranlasste ihre Waffen auf mich zu richten war: “Was würde passieren, wenn Euer Vater in dieser Ambulanz läge?” Sie flippten aus, verloren ihre Kontrolle. Wie konnte ich einen Vergleich wagen zwischen ihrem Vater und dem Palästinenser in der Ambulanz! Die Vorstellung, Palästinenser seien keine Menschen wie wir, lässt uns Israelis mit ruhigem Gewissen leben, mit all den Verbrechen, seit so vielen Jahren, mit dem Verlust jeglicher Menschlichkeit und Werte.

Ich hörte heute, einige sprechen von jüdischen Werten. Ich muss ehrlich mit Ihnen sein. Ich weiß nicht, was jüdische Werte sind. Ich weiß nicht, was universelle Werte sind. Es gibt klare universelle Werte. Und es gibt ein eindeutiges internationales Recht. Für die meisten Israelis ist internationales Recht sehr wichtig – aber nicht für Israel. Israel ist ein Sonderfall. Warum? Damit sind wir wieder bei den Wertvorstellungen, dem Leben mit der Leugnung.

Zurück zum Thema unseres Podiums. Ist die Israel-Lobby gut für Israel? Nein. Sie ist sehr korrumpierend. Solange die USA Israel gewähren lassen, sind offensichtlich die Palästinenser die ersten und unmittelbaren, unbeschreiblichen Opfer. Aber letztendlich, was wird aus Israel nach all den Jahren? Was ist es bereits heute? Wo geht es hin? Alles wird schlimmer. Deshalb hoffe ich kaum auf Veränderung in der israelischen Gesellschaft. Sie wissen wahrscheinlich, es geht in eine immer nationalistischere, millitaristischere, religiösere Richtung. Mit sehr wenig Hoffnung auf Veränderung, die von Innen kommt. Warum sollten sich Israelis Veränderungen wünschen? Wo ist der Anreiz, warum sich soviel Mühe machen? Das Leben ist gut so.

Sie hätten Israel zur Zeit der Bombardierung Gazas sehen sollen. Die Strände waren voller Menschen, während die Helikopter darüber hinweg flogen, um Gaza zu bombardieren. Das israelische Fernsehen zeigte kaum Fotos von dort. Zeitungen berichteten kaum. Ich schrieb einen Artikel über die Verantwortung der Piloten. Danach brauchte ich Leibwächter, um mein Haus zu verlassen. Problematisch war übrigens, dass die Leibwächter Siedler waren. Sie stritten mit mir den ganzen Tag, bis ich merkte, dass ich sicherer ohne Leibwächter war als mit ihnen.

Ich komme zum Schluss. Der letzte Krieg in Gaza lehrte uns auch, dass Israel heute drei Regime hat, vielleicht ist es der einzige Staat in der Welt mit drei Herrschaftsformen: Eine für die Juden, eine für die arabischen Bürger und das Apartheid-Regime in der Westbank und Gaza, eine der brutalsten und grausamsten Tyranneien der Welt. Aber selbst was die Fassade betrifft, die Demokratie, die für mich immer eine Demokratie für jüdische Bürger war – im vergangenen Sommer erkannte ich, es ist eine Demokratie für seine jüdischen Bürger, unter der Vorraussetzung, diese denken wie die Mehrheit. Zum Abschluss möchte ich Ihnen sagen, wenige von uns, sehr wenige, viel zu wenige, richten ihre große Hoffnung auf den Westen, auf Europa, die USA, da wir jede Hoffnung auf Israel verloren haben.

Gideon Levy

 

StellungnahmeGriescheDPG

Liebe Palästina/Israel-Interessierte, liebe VertreterInnen in Politik und Medien,

was müssen diese selbsternannten “Freunde Israels” für eine Angst haben und vor wem, dass sie immer häufiger gegen alle Fakten und den gesunden Menschenverstand mal direkt, mal hinten herum versuchen, ReferentInnen, KünstlerInnen, MusikerInnen und WissenschaftlerInnen, hier in Deutschland, aber auch anderswo auf der Welt mit der Antisemitismuskeule zu verunglimpfen, Räume zu entziehen, Preisverleihungen zu verhindern: München, Frankfurt, Göttingen usw.

Zum Glück gibt es aber auch vermehrt Richter mit Augenmaß, die die Absurdität erkennen und entsprechend in die Schranken weisen. Manchmal ist es aber auch schon die konsequente Androhung eines Gerichtsverfahrens gegen diese Typen, die fälschlicher und absurder Weise im Namen von Toleranz nach dem Motto “es wird schon was hängen bleiben” vorgehen, die Wirkung zeigt.

Dies zeigt der jüngste Fall eines Vorwurfs gegen den hochqualifizierten Nahost-Experten Andreas Zumach, dem die Vorsitzende der Deutsch-Israelischen Gesellschaft in Baden-Württemberg öffentlich und schriftlich Antisemitismus vorwarf. Zudem hat sie alle ihre Vorwürfe bei Androhung einer hohen Geldstrafe bei Aufrechterhaltung der Vorwürfe öffentlich und schriftlich zurück nehmen müssen.

Jetzt aktuell wieder die sog. Antideutschen, die radikalen Ideologen im Konzert der Lobby der israelischen völkerrechtswidrigen Regierungspolitik, die den renommierten Referenten Dr. Aref Hajjaj verhindern wollten (vgl. Anlage). Das gelang allerdings wieder nicht, da den Veranstaltern entsprechend deutlich gemacht wurde, wie absurd und unbegründet bei genauer Kenntnis seiner Schriften diese Vorwürfe waren.

Der aktuell schlimmste Fall eines absurd nicht mehr steigerbaren Antisemitismus-Vorwurfs läuft aber zurzeit in Göttingen, wo die o.a. Lobby-Vertreter alles toppen, was bisher in der Antisemitismus-Debatte gelaufen ist. Ausgerechnet den in der “Jüdischen Stimme für einen gerechten Frieden e.V.” organisierten jüdischen WissenschaftlerInnen, KünstlerInnen, LiteratInnen u.a. soll der renommierte Göttinger Friedens-Preis in der Universität Göttingen versagt werden:  angeführt von einer FDP-Abgeordneten. Der Bürgermeister Göttingens und die Universitätspräsidentin ließen sich hiervon anstecken und versagen trotz hundertfacher Proteste die Verleihung in den Gebäuden der Universität und das seit Jahren übliche Geleitwort der Stadt Göttingen. Allerdings bleibt die sachkundige unabhängige Jury bei dieser Preisverleihung, nunmehr in nichtöffentlichen Räumen in Göttingen. Es wird immer absurder und peinlicher für diese selbsternannten Antisemitismus-Jäger.

Machen Sie sich selbst ein Bild, wodurch und durch wen die verfassungsrechtlich festgelegte Meinungsfreiheit zunehmend gefährdet wird:

Für jene, denen der in den Medien kaum zu lesende Vorgang noch nicht bekannt ist: In Göttingen versuchen die üblichen Kreise die Verleihung des “Göttinger Friedenspreis” an die “Jüdische Stimme für einen gerechten Frieden e.V.” zu torpedieren. Unter anderem, in dem eine Überprüfung des “Antisemitismus” der ‘Jüdische Stimme’ verlangt wird.
Besonders hervorgetan hat sich dabei eine FDP-Stadtverordnete, was die ‘Jüdische Stimme’ zu einer scharfen Stellungnahme veranlasst hat.

Im Auftrag des Präsidiums
Detlef Griesche
Vizepräsident der Deutsch-Palästinensischen Gesellschaft e.V.

 

Beispiele israelischer Rethorik

Das sind keine Phrasen, sondern Politik-Programme israelischer Persönlichkeiten, die die Macht, aber niemals das Recht dazu haben. Dr. Hanan Ashrawi nennt Beispiele israelischer Rethorik

In einer Auflistung hat PLO-Exekutivmitglied Dr. Hanan Ashrawi zahlreiche Beispiele jüngster abfälliger Äußerungen und Anstachelungen israelischer Regierungsmitglieder, die Tatsachen verfälschen und die öffentliche Meinung irreführen, für den Monat Januar dokumentiert. Im Folgenden finden Sie eine Auswahl in deutscher Übersetzung:

Premier Netanyahu: „Es werden keine Siedlungen mehr entwurzelt oder ihr Bau aufgenhalten – im Gegenteil: Das Land Israel gehört uns und wird unser bleiben.“ (28. Januar 2019)

Ofir Akunis, Minister für Wissenschaft und Technologie: „Wir müssen den Bau der Siedlungen in Samaria und Judäa (besetzte Westbank) vorantreiben, um vor allem unser natürliches Recht auf unser Land zu sichern. Auch müssen wir die Katastrophe verhindern, was ich bereits als Selbstmord des Staates Israel definiert habe und das wäre: die Errichtung eines palästinensischen Terrorstaates an diesem Ort.“ (16. Januar 2019)

Die Sicherheit bringt mehr Einwohner, der Wohnungsbau bringt mehr Einwohner und der umfangreiche Siedlungsbau in Judäa und Samaria (besetzte Westbank) und in diesem ganzen Gebiet bremst die Gründung eines palästinensischen Terrorstaates in diesem Gebiet.“ (16. Januar 2019)

Eli Cohen, Wirtschaftsminister: „Wir müssen Tatsachen schaffen – mit der Annexion und Umsetzung der Souveränität über das C-Gebiet (besetzte Westbank).“ (09. Januar 2019)

Gilad Erdan, Minister für strategische Angelegenheiten und öffentliche Sicherheit: „Die Verlängerung der Schließung dieser palästinensischen Institutionen ist eine Botschaft an die Palästinensische Autonomiebehörde und die Bewohner Ost-Jerusalems. Der Staat Israel wird die Souveränität über Ost-Jerusalem aufgeben und wird nicht nichts anderes erlauben.“ (31. Januar 2019)

Ich werde die Souveränität und die israelische Regierungsführung in ganz Jerusalem weiter stärken und jeden palästinensischen Versuch, im Osten der Stadt Fuß zu fassen, verhindern.“ (31. Januar 2019)

Yoav Gallant, Minister für Immigration: „Ich kam hierher, um der israelischen Öffentlichkeit und insb. den Einwohnern von Judäa und Samaria (besetzte Westbank) zu sagen, dass wir ein historisches Recht und ein Sicherheitsbedürfnis haben, um die volle Kontrolle über dieses Gebiet zu behalten.“ (23. Januar 2019)

Ich sage eindeutig Nein zu einem palästinensischen Staat. Es ist nicht möglich, mehr als einen Staat westlich des Jordans zu haben.“ (13. Januar 3019)

Avigdor Liebermann, Knesset-Mitglied: „Israel muss gezielte Attentate durchführen (…) Wenn alle wissen, dass eine Konfrontation bevorsteht, warum sollten wir warten bis wir israelische Verluste erleiden? Machen Sie einen präventiven Angriff. Gehen Sie zu den gezielten Attentaten zurück.“ (23. Januar 2019)

In einer Erklärung der neu gegründeten Partei der Neuen Rechten heißt es: „ (Wir) werden nicht in einer Regierung sitzen, die Jerusalem teilen und einen palästinensischen Staat gründen wird.“ (16. Januar 2019)

 

Den englischsprachigen Volltext erhalten Sie hier: www.dci.plo.ps/en/article/11610/February-1,-2019-Report-Appearance-and-reality-Israeli-provocations-and-violations-in-their-own-words-(January-2019-Edition)

 

Nazih Musharbash – Vortrag über das Nationalstaatsgesetz

Vortrag von Nazih Musharbash über das neue Nationalstaatsgesetz Israels im Gemeindezentrum Zion in Bremen (Video ganz unten)

Leider konnte der Referent für diesen Abend, Ass. Prof. Dr. Abed Schokry aus Gaza, wie schon befürchtet nicht ausreisen, da die Grenze zu Ägypten durch einen Streit zwischen der PA in Ramallah und der Hamas in Gaza durch den Abzug der Grenzbeamten der Fatah gesperrt worden war. Auch Ägypten ließ keinen Bewohner aus Gaza mehr raus, sondern nur noch Rückkehrer. Wie lange diese für die Bewohner des GAZA-Streifens sich weiter verschärfende Krisensituation anhält, vermag aktuell keiner zu prognostzieren.

Die Veranstalter hatten vorsorglich den Präsidenten der Deutsch-Palästinensischen Gesellschaft (DPG) Nazih Musharbash aus Bad Iburg eingeladen. Er hielt einen sehr informativen und rhetorisch spannenden Vortrag über das Nationalstaatsgestz – und dies vor vollem Saal mit höchst zufriedener Resonanz. Vorab wurde ein sehr betroffen machendes längeres inhaltliches Grußwort von Abed Schokry vorgetragen, da wir eine zunächst geplante skype-Übertragung aus technischen Gründen nicht realisieren konnten.

Führt der Weg Israels zu Rassismus und Apartheid?

Nazih Musharbash hielt einen überaus interessanten und informativen Vortrag über das 2018 von der Knesset verabschiedete Nationalitätengesetz. Dieses Gesetz, ein neuer Teil des israelischen Grundgesetzes, ist teilweise auch innerhalb der jüdischen Bevölkerung von Israel umstritten.

Musharbash erläuterte sehr übersichtlich, dass sich dieses Gesetz in erster Linie gegen die Palästinenser richtet. So gilt das Recht auf Selbstbestimmung – gleich als erster Punkt unter „Grundprinzipien“ – „einzig für das jüdische Volk“. Das wird auch von jüdischen Staatsbürgern als „Rassismus“ betrachtet. Damit werden die zwei Millionen Palästinenserinnen und Palästinenser Staatsbürger zweiter Klasse. Unter Punkt vier wird als Staatssprache allein Hebräisch festgelegt. Arabisch wurde fallengelassen.

Das “gesamte und vereinigte” Jerusalem wird als Hauptstadt festgeschrieben, gegen die UNO-Erklärungen und Palästina, das selbst Jerusalem als seine Hauptstadt sieht.

Die völkerrechtswidrige Besiedlung in den besetzten Gebieten und ihre „Weiterentwicklung“ sieht das Nationalstaatsgesetz als „nationalen Wert“. Ja „der Staat Israel „setzt sich dafür ein“ – so heißt es weiter – „die Etablierung und die Konsolidierung jüdischer Besiedlung anzuspornen und voranzutreiben“.

Mehrere bekannte israelische Persönlichkeiten wie der ehemalige Diplomat Schimon Stein und der Historiker Moshe Zimmermann kritisieren das Gesetz. Der aus Deutschland stammende US-Bürger Henry Siegman, Präsident des U.S./Middle East Project (USMEP), spricht sogar von Apartheid.

Der Referent bedauerte, dass diese neue politische Festschreibung von den USA unterstützt werde und die Öffentlichkeit der Weltgemeinschaft sich unverantwortlich in Schweigen hülle.

Detlef Griesche (links auf dem Foto), stellvertretender Vorsitzender der Deutsch-Palästinensischen Gesellschaft, begrüßte im Namen der Veranstalter die Anwesenden im vollbesetzten Saal des Gemeindezentrums Zion in Bremen.

Text und Fotos: Hartmut Drewes, Bremer Friedensforum

 

 

Weitere Videos von DPG-Veranstaltungen finden Sie unter “Videos von Vorträgen”.

 

Umstrittenes Nationalitätengesetz von Knesset verabschiedet

Israel: Umstrittenes Nationalitätengesetz von Knesset verabschiedet

Ein Gesetz zur Unterstützung von staatlich verordneter Isolation und Diskriminierung. Ein Gesetz, das mit Demokratie unvereinbar ist. Die DPG hat zu diesem Thema eine Liste lesenswerter Texte im Internet zusammengestellt:

https://www.tagesschau.de/ausland/israel-nationalstaat-101%7Eamp.html

http://palaestina.org/index.php?id=160&tx_ttnews%5Btt_news%5D=844&cHash=deb1860bc3c4bb539dc6d596eb2d8b40

https://jungefreiheit.de/politik/ausland/2018/israel-beschliesst-nationalitaetengesetz/

https://www.dw.com/de/israel-verabschiedet-umstrittenes-nationalitätsgesetz/a-44740059

http://www.israelheute.com/Default.aspx?tabid=179&nid=33870

https://www.mdr.de/nachrichten/politik/ausland/israel-stimmt-fuer-nationalitaetengesetz-100.html

https://www.tagesspiegel.de/politik/benjamin-netanjahu-israelisches-parlament-beschliesst-umstrittenes-nationalitaetengesetz/22817406.html

https://www.deutschlandfunk.de/nationalitaetengesetz-in-israel-gleichberechtigung-der.720.de.html?dram:article_id=42337

https://www.domradio.de/themen/judentum/2018-07-19/israel-stimmt-fuer-umstrittenes-nationalitaetengesetz

https://deutsch.rt.com/international/72939-nationalitaetengesetz-in-israel-auf-dem-weg-zu-ausschliesslich-juedischen-gemeinden/

https://www.srf.ch/sendungen/heutemorgen/israel-verabschiedet-umstrittenes-nationalitaetengesetz

https://diepresse.com/home/ausland/aussenpolitik/5466580/Israel-will-noch-juedischer-werden

https://www.focus.de/panorama/welt/israel-umstrittenes-nationalitaetsgesetz-wird-verabschiedet_id_9280762.html

http://www.spiegel.de/politik/ausland/israel-verabschiedet-umstrittenes-nationalitaetsgesetz-a-1219159.html

https://www.zeit.de/politik/ausland/2018-07/knesset-israel-benjamin-netanjahu-hebraeisch-gesetz-siedlungen

https://www.rtl.de/cms/kritik-an-nationalitaetsgesetz-israel-ruegt-eu-botschafter-4191042.html

https://www.handelsblatt.com/politik/international/diskriminierung-befuerchtet-israel-beschliesst-umstrittenes-nationalitaetsgesetz-eu-zeigt-sich-besorgt/22816082.html?ticket=ST-3952283-EDofVRnaYAI4aXJdoHlg-ap4

https://www.noz.de/deutschland-welt/politik/artikel/1401967/israel-verabschiedet-umstrittenes-gesetz-zu-juedischem-nationalstaat

 

Spiegel-Gesinnungstest

Leserbrief zum angehängten Bericht im Spiegel

Der Antisemitismus greift in Kultur ein, dabei wird die berechtigte Kritik an der Politik Israels mit Antisemitismus bewusst gleich gestellt…

„In Ihrem Beitrag heißt es: »Kauft nicht beim Is­rae­li« – das klingt in vie­len Oh­ren fast wie »Kauft nicht beim Ju­den!«. Diese Gleichstellung ist plakativ und dazu geeignet, unbestrittene Fakten auszublenden. Die Palästinenser werden heute nun mal vom israelischen Staat drangsaliert und unterdrückt, wie dies von Ihnen selbst angedeutet wird. Dass dieser Staat „zufällig“ jüdisch geprägt ist, rechtfertigt in keiner Weise, die Position der Palästinenser und ihrer Förderer als antisemitisch im Sinne der NA-Ideologie zu diffamieren. Wäre dieser Staat englisch oder maltesisch, würden sich die Palästinenser dementsprechend antienglisch bzw. antimaltesisch verhalten. Daraus ergäbe sich nicht der Vorwurf des Rassismus oder einer menschenverachtenden Ideologie.

Dass Sie in Ihrem Beitrag die Undenkbarkeit  der Unterscheidung zwischen dem Antisemitismus und einer israelkritischen Haltung suggerieren, („Ist da über­haupt ein Un­ter­schied denk­bar: zwi­schen an­ti­is­rae­lisch und an­ti­se­mi­tisch?) ist aus der Sicht eines differenzierten Denkens höchst bedenklich.

Im Übrigen: Was spricht völkerrechtlich und moralisch dagegen, die Politik eines Staates (Israel) zu sanktionieren, der die Rechte eines besetzten Volkes (Palästinenser)  mit Füßen tritt, große Teile seiner Territorien abriegelt bzw. dort Siedlungen im exzessiven Maße auf Kosten der autochthonen Bevölkerung errichtet? Warum sind Sanktionen gegen Russland und Iran legitim, im Falle Israels jedoch verpönt, weil sie womöglich antisemitisch oder rassistisch sein könnten? Im Übrigen richten sich die Boykottaufrufe maßgeblicher BDS-Aktivisten nicht gegen „israelische“ Waren, sondern gegen solche Waren, die aus den völkerrechtswidrigen Siedlungen Stammen. Dies ist ein substantieller Unterschied, der in Ihrem Artikel wenig Beachtung findet.“

Dr. Aref Hajjaj

 

 

Spiegel, 7/7/2018

Gesinnungstest

Antisemitismus Der Nahostkonflikt greift auf deutsche Kulturfestivals über. Wo ist die Grenze zwischen Israelkritik und Judenhass?

Die Young Fa­thers klin­gen wie Gos­pel­sän­ger, die lan­ge in ei­ner Kir­che ein­ge­sperrt wa­ren – und nun in die Frei­heit ent­las­sen wor­den sind: in eine Welt der un­be­grenz­ten Mög­lich­kei­ten, aber auch der vie­len Wahr­hei­ten und Kon­flik­te. Sie sin­gen über Iden­ti­tät und Macht, Ge­walt und Krieg, Lie­be und Sex. Und im­mer wie­der über Gott und den Teu­fel.

Es ist die Mu­sik zwei­feln­der jun­ger Män­ner, ein Wei­ßer und zwei Schwar­ze, eine schot­ti­sche Pop­grup­pe in der di­gi­tal zer­fa­ser­ten Post­mo­der­ne. Kri­ti­kern gilt sie als »die in­ter­es­san­tes­te neue­re Band im eng­lisch­spra­chi­gen Raum«, und ent­spre­chend stolz war Ste­fa­nie Carp, die neue In­ten­dan­tin der Ruhr­tri­en­na­le, als sie die Young Fa­thers für ein Kon­zert ge­win­nen konn­te. In ei­ner Ju­bel­mel­dung teil­ten die Ma­cher des im Au­gust be­gin­nen­den Fes­ti­vals mit, de­ren Mu­sik las­se sich »in kei­ne Schub­la­de ste­cken«.

Die po­li­ti­sche Ein­stel­lung der Band­mit­glie­der even­tu­ell schon – in die un­ters­te Schub­la­de, die mit den An­ti­se­mi­ten. Ob dies zu Recht ge­schieht oder nicht, ist um­strit­ten, aber die De­bat­te bringt Carp in Be­dräng­nis, ein­zel­ne Jour­na­lis­ten und Po­li­ti­ker ha­ben schon ih­ren Rück­tritt ge­for­dert. Die­se Wo­che be­rich­te­te nun so­gar die »New York Times« über den Fall. Der Te­nor: Das Ge­ze­ter an der Ruhr habe we­nig mit der Mu­sik der Band zu tun, aber sehr viel mit deut­scher Ge­schich­te.

Die Young Fa­thers se­hen sich als Ver­tre­ter des so­ge­nann­ten Anti-Es­ta­blish­ments, sie twit­tern ge­gen rech­te De­mons­tra­tio­nen, zei­gen sich auf Kund­ge­bun­gen der Grup­pie­rung Unite Against Fa­cism, for­dern ein Groß­bri­tan­ni­en ohne Atom­waf­fen und set­zen sich für die Auf­nah­me von Flücht­lin­gen ein. Bis­lang wur­de kein Vor­wurf be­kannt, dass sie sich auf ih­ren Plat­ten oder bei ih­ren Li­ve­auf­trit­ten an­ti­se­mi­tisch äu­ßern wür­den, aber: Sie ha­ben sich min­des­tens zwei Kam­pa­gnen der BDS-Be­we­gung an­ge­schlos­sen.

Die Be­we­gung wur­de 2005 von mehr als hun­dert zi­vil­ge­sell­schaft­li­chen pa­läs­ti­nen­si­schen Grup­pen ge­grün­det, sie setzt sich für die Rech­te der Pa­läs­ti­nen­ser ein und hetzt ge­gen den is­rae­li­schen Staat. Das Kür­zel BDS steht für ihre Stra­te­gie: Boy­cott, Di­vest­ment and Sanc­tions, zu Deutsch Boy­kott, Ab­zug von In­ves­ti­tio­nen und Sank­tio­nen. Vor­bild ist das Vor­ge­hen ge­gen den da­ma­li­gen Apart­heid­staat Süd­afri­ka in den Acht­zi­ger­jah­ren. Die wei­ße Bu­ren­re­gie­rung al­ler­dings war ein ras­sis­ti­sches Re­gime, die Si­tua­ti­on Is­ra­els hat an­de­re Grün­de: die Lage des Lan­des in­mit­ten der ihm von An­be­ginn an feind­lich ge­sinn­ten is­la­mi­schen Welt, dazu die his­to­ri­sche Er­fah­rung des Ho­lo­causts.

Ei­ner der pro­mi­nen­tes­ten Ver­tre­ter des BDS ist Ro­ger Wa­ters, einst Star der Rock­band Pink Floyd. 2017 führ­ten er und zahl­rei­che an­de­re Mu­si­ker, dar­un­ter eben auch die Young Fa­thers, eine Kam­pa­gne ge­gen die bri­ti­sche Band Ra­dio­head: Sie sol­le ein in Tel Aviv ge­plan­tes Kon­zert ab­sa­gen. Der­ar­ti­ge Boy­kott­auf­ru­fe sind ty­pisch für den BDS. Es geht dar­um, Is­ra­el kul­tu­rell zu iso­lie­ren. Ra­dio­head wi­der­setz­ten sich – und spiel­ten. Es folg­te ein Shits­torm, beim Glas­t­on­bu­ry Fes­ti­val wur­den Ra­dio­head aus­ge­buht. Die Band be­schrieb den Druck auf sie als »zer­mür­ben­de Er­fah­rung«.

Zu den Mu­si­kern, die sich in den ver­gan­ge­nen Jah­ren an­ders ent­schie­den und Kon­zer­te in Is­ra­el ab­ge­sagt ha­ben, zäh­len Björk und Lor­de, El­vis Co­s­tel­lo und die Go­ril­laz. Die Pop­kul­tur, die im bes­ten Fall eine Fei­er der Ge­mein­schaft ist, wird im­mer mehr zu ei­nem Schau­platz von Gra­ben­kämp­fen.

Wa­ters greift in die­sen Kämp­fen mit­un­ter zu Waf­fen, die zu Recht ge­äch­tet sind; bei sei­nen Kon­zer­ten lässt er schon mal ei­nen Bal­lon in die Luft stei­gen, der die Form ei­nes Schweins hat – und ei­nen Da­vid­stern trägt. Öffent­lich-recht­li­che Fern­seh­sen­der in Deutsch­land wei­gern sich in­zwi­schen, sei­ne Kon­zert­auf­trit­te aus­zu­strah­len.

Ist die BDS-Be­we­gung nur an­ti­is­rae­lisch oder auch an­ti­se­mi­tisch? Ist da über­haupt ein Un­ter­schied denk­bar: zwi­schen an­ti­is­rae­lisch und an­ti­se­mi­tisch? Und, falls ja: Soll­ten deut­sche Po­li­ti­ker und Fes­ti­val­ma­cher die Fra­ge even­tu­ell trotz­dem an­ders be­ant­wor­ten als, sa­gen wir mal, bri­ti­sche, bei de­nen die Be­we­gung bis­lang viel prä­sen­ter war als bei uns?

Es sind die ganz gro­ßen Fra­gen, mit de­nen sich die In­ten­dan­tin Carp kon­fron­tiert sieht, seit­dem ein Blog das En­ga­ge­ment der Young Fa­thers skan­da­li­siert hat. Bei Boy­kott­auf­ru­fen ge­gen Is­ra­el schril­len in Deutsch­land alle Alarm­glo­cken. »Kauft nicht beim Is­rae­li« – das klingt in vie­len Oh­ren fast wie »Kauft nicht beim Ju­den!«.

Als der Druck zu groß wur­de, for­der­te Carp die Young Fa­thers auf, sich vom BDS zu dis­tan­zie­ren. Die Band wei­ger­te sich. Carp lud sie aus. Dar­auf­hin in­sze­nier­ten sich die drei schot­ti­schen Mu­si­ker als Op­fer von Zen­sur, be­klag­ten auf der In­ter­net­sei­te »Ar­tists for Pa­lesti­ne UK« die »fal­sche und un­fai­re Ent­schei­dung« der Ruhr­tri­en­na­le. Was sie nicht schrie­ben: dass die Ruhr­tri­en­na­le den Wort­laut der Ab­sa­ge mit dem Ma­na­ger der Band ab­ge­stimmt und auf des­sen Wunsch zur har­ten For­mu­lie­rung »Aus­la­dung« ge­grif­fen hat­te. So er­zählt es Carp. »Der Ma­na­ger hat uns ein biss­chen rein­ge­legt. Wir wa­ren ganz schön naiv.« Carp lud die Band schließ­lich wie­der ein, doch nun woll­te die Band nicht mehr. Ein PR-De­sas­ter.

Bei Boykottaufrufen gegen Israel schrillen in Deutschland alle Alarmglocken.

Carp hat der Ruhr­tri­en­na­le, die sie in die­sem Jahr zum ers­ten Mal lei­tet, das Mot­to »Zwi­schen­zeit« ver­passt, sie wer­de »For­ma­te des Vor­läu­fi­gen er­fin­den«, hat sie an­ge­kün­digt. Das Pro­blem ist: Gute Kunst mag am­bi­va­lent sein wie eh und je, aber Am­bi­va­len­zen ab­seits der Kunst hal­ten vie­le Men­schen heu­te nicht mehr aus. In ei­ner Zeit, in der nichts mehr si­cher scheint, seh­nen sie sich nach Si­cher­hei­ten, auch nach ideo­lo­gi­schen, sie ver­lan­gen nach ein­deu­ti­gen Po­si­tio­nen und kla­ren An­sa­gen, Dau­men hoch oder Dau­men run­ter.

Carp hin­ge­gen stand in der BDS-De­bat­te von An­fang an nicht mit bei­den Bei­nen fest auf dem Bo­den ei­ner Ideo­lo­gie, sie tip­pel­te von ei­nem Fuß auf den an­de­ren. Man kann dar­in eine in­tel­lek­tu­el­le Tu­gend se­hen, aber auch eine Schwä­che; man kann es für sym­pa­thisch hal­ten, aber auch für naiv: ein Fes­ti­val zu ma­na­gen wie frü­her, als es noch kei­ne So­ci­al-Me­dia-Kam­pa­gnen gab.

Nord­rhein-West­fa­lens Kul­tur­mi­nis­te­rin Isa­bel Pfeif­fer-Po­ens­gen kri­ti­sier­te die Wie­der­ein­la­dung der Young Fa­thers, die Kul­tur­stif­tung des Bun­des eben­falls. In­zwi­schen schlägt die De­bat­te auf die Stim­mung in Carps Team, des­sen Mit­glie­der sich kri­ti­schen Fra­gen und An­ti­se­mi­tis­mus­vor­wür­fen stel­len müs­sen, selbst an der Ti­cket­hot­line.

Im bri­ti­schen »Guar­di­an« hin­ge­gen er­schien ein of­fe­ner Brief, der die Aus­la­dung der Young Fa­thers als Akt der Zen­sur gei­ßelt: »Wir sind be­un­ru­higt von Ver­su­chen in Deutsch­land, Künst­lern po­li­ti­sche Auf­la­gen zu ma­chen, wenn sie sich für Men­schen­rech­te von Pa­läs­ti­nen­sern ein­set­zen.« Un­ter­zeich­net ha­ben ihn 79 Künst­ler und In­tel­lek­tu­el­le, dar­un­ter die fe­mi­nis­ti­sche Phi­lo­so­phin Ju­dith But­ler und der Lin­gu­ist Noam Chomsky, die bei­de jü­di­scher Ab­stam­mung sind, die schwar­ze Bür­ger­recht­le­rin An­ge­la Da­vis, der süd­afri­ka­ni­sche Frie­dens­no­bel­preis­trä­ger Des­mond Tutu und na­tür­lich et­li­che Mu­si­ker, dar­un­ter Jar­vis Co­cker und Ro­ger Wa­ters.

Wel­chen Druck die BDS-Be­we­gung auf­bau­en kann, zeig­te sich ver­gan­ge­nes Jahr in Ber­lin beim »Pop-Kul­tur«-Fes­ti­val. Bis zu 150 Bands und Künst­ler tra­ten auf, das Bud­get war opu­lent: etwa an­dert­halb Mil­lio­nen Euro. Die De­bat­te um das Fes­ti­val ent­zün­de­te sich an 500 Euro. Das war der Be­trag, den die is­rae­li­sche Bot­schaft bei­ge­steu­ert hat­te, ein Rei­se­kos­ten­zu­schuss für die is­rae­li­sche Sän­ge­rin Riff Co­hen. Das Fes­ti­val druck­te ein Logo der Bot­schaft im Pro­gramm­heft, so wie die Lo­gos Dut­zen­der an­de­rer Part­ner. Ein üb­li­cher Vor­gang in nor­ma­len Zei­ten, ein Po­li­ti­kum in auf­ge­heiz­ten Zei­ten wie die­sen.

Über die eng­lisch­spra­chi­ge BDS-Web­site star­te­te die Pa­lesti­ni­an Cam­pai­gn for the Aca­de­mic and Cul­tu­ral Boy­cott of Is­ra­el (PAC­BI) ei­nen Boy­kott­auf­ruf. Über­schrift: »Pop-Kul­tur 2017 – spon­so­red by Apart­heid«. Plötz­lich gal­ten die Ber­li­ner als ver­län­ger­ter Arm is­rae­li­scher Kul­tur­po­li­tik mit dem Ziel, der Re­gie­rung Net­anya­hu ein bes­se­res Image zu ver­schaf­fen. Acht Künst­ler und Bands sag­ten ab, dar­un­ter die Young Fa­thers.

 

Kul­tur­staats­mi­nis­te­rin Mo­ni­ka Grüt­ters (CDU) nann­te die BDS-Kam­pa­gne »ab­so­lut un­er­träg­lich«, der Ber­li­ner Kul­tur­se­na­tor Klaus Le­de­rer (Lin­ke) »wi­der­lich«. Bür­ger­meis­ter Mi­cha­el Mül­ler (SPD) sprach von Me­tho­den aus der Na­zi­zeit und gab an, künf­tig al­les Mög­li­che zu tun, dem BDS »Räu­me und Gel­der für sei­ne an­ti­is­rae­li­sche Het­ze zu ent­zie­hen«.

Auch die­ses Jahr ruft der BDS zum Boy­kott des Fes­ti­vals auf, das vom 15. bis zum 17. Au­gust ge­plant ist, dem Auf­ruf sind bis­lang fünf Künst­ler ge­folgt, dar­un­ter die bri­ti­sche Post­punk-Band Shop­ping und der US-Ex­pe­ri­men­tal­mu­si­ker John Maus.

Es sei­en 5 von 150 ein­ge­la­de­nen Künst­lern, mehr nicht, be­tont Kat­ja Lu­cker, Lei­te­rin des Mu­si­cboards, ei­ner In­sti­tu­ti­on des Ber­li­ner Se­nats, die das »Pop-Kul­tur«-Fes­ti­val ver­an­stal­tet. Sie ist be­müht, die Re­la­ti­on zu wah­ren und nicht in Hys­te­rie zu ver­fal­len, sie sagt aber auch: »Wir ha­ben im Vor­feld Künst­ler aus Bei­rut, Tu­ne­si­en oder Ägyp­ten an­ge­fragt, die ha­ben von An­fang an ge­sagt, dass sie auf kei­nen Fall bei uns spie­len wol­len.« Die BDS-Kam­pa­gne ver­hin­de­re, dass pa­läs­ti­nen­si­sche und is­rae­li­sche Künst­ler sich auf neu­tra­lem Bo­den be­geg­ne­ten und mit­ein­an­der ins Ge­spräch kä­men.

Lu­cker will sich vom BDS nicht ein­schüch­tern las­sen, die Kul­tur­ab­tei­lung der is­rae­li­schen Bot­schaft be­tei­ligt sich auch dies­mal an den Rei­se­kos­ten, nun so­gar mit 1200 statt 500 Euro. »Wir ar­bei­ten selbst­ver­ständ­lich wei­ter­hin mit Is­ra­el zu­sam­men.« Ein­ge­la­den hat das Fes­ti­val un­ter an­de­rem die Au­to­rin Liz­zie Do­ron, die für ihr Buch »Sweet Oc­cupa­ti­on« mit ehe­ma­li­gen pa­läs­ti­nen­si­schen Ter­ro­ris­ten und is­rae­li­schen Wehr­dienst­ver­wei­ge­rern ge­spro­chen hat. Den Rei­se­zu­schuss zahl­te die Bot­schaft trotz­dem.

»Boy­kott ist nicht Dia­log«, sagt Lu­cker. »Der BDS ruft nicht zum Frie­den im Nah­ost­kon­flikt auf, im Ge­gen­teil: BDS spal­tet und sät Hass.« Gern wür­de sie mit den Künst­lern de­bat­tie­ren, die den BDS un­ter­stüt­zen. Aber das sei mo­men­tan nicht mög­lich. Alle An­ge­bo­te, um die Kon­zer­te her­um eine Dis­kus­si­on zu ver­an­stal­ten, bei der die Bands ihre Hal­tung dar­le­gen könn­ten, lie­fen ins Lee­re.

Auch der SPIEGEL hät­te den Young Fa­thers gern die Ge­le­gen­heit ge­ge­ben, sich zu äu­ßern, aber die Band ließ aus­rich­ten, dass sie dar­an der­zeit kein In­ter­es­se habe. Der BDS hin­ge­gen teil­te auf An­fra­ge des SPIEGEL mit, dass er die Young Fa­thers für An­ge­hö­ri­ge ei­ner »neu­en Ge­ne­ra­ti­on po­li­tisch den­ken­der Künst­ler« hal­te, »die sich nicht bre­chen lässt vom deut­schen Neo-Mc­Car­thy­is­mus«. Das deut­sche »Es­ta­blish­ment« sei ziem­lich iso­liert in sei­ner »dog­ma­ti­schen, re­pres­si­ven, anti-pa­läs­ti­nen­si­schen Ein­stel­lung«, schrieb Ste­pha­nie Adam, Ko­or­di­na­to­rin der PAC­BI.

 

Die Kam­pa­gnen und Ge­gen­kam­pa­gnen, die Hys­te­rie und der Hass: All das kehrt in Wel­len wie­der, seit der BDS im Jahr 2005 ge­grün­det wor­den ist. Die Be­we­gung for­der­te Grund­rech­te für die ara­bisch-pa­läs­ti­nen­si­schen Bür­ger Is­ra­els und ein Recht auf Rück­kehr für die pa­läs­ti­nen­si­schen Flücht­lin­ge, fer­ner den Ab­riss der Mau­er, die Is­ra­el zum Schutz vor Ter­ror­at­ta­cken er­rich­tet hat­te, und das Ende der Be­set­zung.

Aber wel­chen Lan­des ge­nau? Nur der 1967 be­setz­ten Ge­bie­te oder doch gleich von ganz Is­ra­el?

Der BDS-In­itia­tor Omar Barg­hou­ti for­mu­lier­te wie­der­holt das Ziel, ei­nen pa­läs­ti­nen­si­schen Staat auf dem Ge­biet des heu­ti­gen Is­ra­els zu er­rich­ten. Geht es der Be­we­gung um das Ende ei­ner be­stimm­ten Po­li­tik oder um das Ende ei­nes Staa­tes? Wird Is­ra­el dä­mo­ni­siert, de­le­gi­ti­miert oder mit be­son­de­ren Stan­dards ge­mes­sen? War­um sieht sich kein an­de­res Land der Welt ei­ner Kam­pa­gne wie der des BDS aus­ge­setzt?

Das sind die Fra­gen, bei de­nen die De­bat­te um den BDS im­mer wie­der lan­det, sie ma­chen die De­bat­te so hit­zig, weil der Über­gang von Is­ra­el­kri­tik zu An­ti­se­mi­tis­mus tat­säch­lich oft flie­ßend ist.

Wich­tig ist da­bei, wer spricht und mit wel­chen Mo­ti­ven. Der is­rae­li­sche Film­re­gis­seur Udi Alo­ni, der den BDS un­ter­stützt, be­schwert sich dar­über, wenn sich deut­sche In­tel­lek­tu­el­le ge­gen den BDS wen­den, mög­li­cher­wei­se aus ei­nem Ge­fühl von Schuld den Ju­den ge­gen­über – wo doch für ihn als lin­ken Is­rae­li der BDS ein ge­eig­ne­ter Weg sei, die in sei­nen Au­gen rechts­ex­tre­me Re­gie­rung von Mi­nis­ter­prä­si­dent Net­anya­hu zu be­kämp­fen.

»Ich un­ter­stüt­ze BDS, weil ich so mei­ne jü­di­schen Wer­te be­schüt­ze«, sagt Alo­ni, der sich in Do­ku­men­tar- und Spiel­fil­men wie­der und wie­der mit dem is­rae­lisch-pa­läs­ti­nen­si­schen Kon­flikt be­schäf­tigt hat. »Ich sage nicht, dass Deut­sche BDS un­ter­stüt­zen soll­ten. Ich wür­de nur dar­um bit­ten, dass sie nicht ei­nen ge­rech­ten Wi­der­stand kri­ti­sie­ren oder zen­sie­ren und mir nicht sa­gen, wie ich mein Jü­disch­sein le­ben soll­te.« Er sei mit den Mil­lio­nen Pa­läs­ti­nen­sern so­li­da­risch, die un­ter is­rae­li­scher Herr­schaft leb­ten und de­ren Stim­me nicht ge­hört wer­de. »Ich sage: Hört zu. Wir sind die Stim­me der Schwa­chen. BDS ist eine Form von ge­walt­lo­sem Pro­test.«

 

Doch wie ge­walt­los ist eine Form des Pro­tests, die Künst­ler in Angst ver­setzt, die Wis­sen­schaft­ler at­ta­ckiert, wenn sie mit is­rae­li­schen In­sti­tu­tio­nen zu­sam­men­ar­bei­ten? Und vor al­lem: wie ziel­füh­rend?

Der aka­de­mi­sche Boy­kott rich­tet sich just ge­gen je­nes Uni­ver­si­täts­mi­lieu, in dem die Mo­dera­ten oder Li­be­ra­len ar­bei­ten, die doch Ver­bün­de­te sein könn­ten im Ver­such, eine an­de­re Po­li­tik ge­gen­über den Pa­läs­ti­nen­sern zu fin­den. »Das stärkt nur die po­li­ti­sche Rech­te in Is­ra­el«, sagt der An­thro­po­lo­gie­pro­fes­sor Dan Ra­bi­no­witz, der in Tel Aviv lehrt. Die BDS-Be­we­gung trei­be ei­nen Keil zwi­schen pa­läs­ti­nen­si­sche und is­rae­li­sche In­tel­lek­tu­el­le. Seit es den BDS gebe, wür­den und könn­ten sie de fac­to nicht mehr zu­sam­men­ar­bei­ten.

»Der Boy­kott von Aka­de­mi­kern ist ge­ne­rell pro­ble­ma­tisch«, fin­det die US-ame­ri­ka­ni­sche Phi­lo­so­phin Sey­la Ben­ha­bib, die ei­ner se­phar­disch-tür­ki­schen Fa­mi­lie ent­stammt. Is­ra­el be­we­ge sich un­ter der Li­kud-Re­gie­rung in die fal­sche Rich­tung, meint sie, und es sei »die Pflicht ei­ner links-li­be­ra­len De­mo­kra­tin, das zu kri­ti­sie­ren«. Die Fra­ge sei aber doch, »ob BDS der bes­te Weg ist, zu po­si­ti­ven Ver­än­de­run­gen zu kom­men«.

Is­rae­li­sche In­sti­tu­tio­nen und Wis­sen­schaft­ler wer­den aus­ge­grenzt, auf der an­de­ren Sei­te trau­en sich selbst jü­di­sche Aka­de­mi­ker in den USA kaum noch, öf­fent­lich für den BDS ein­zu­tre­ten, weil das ne­ga­ti­ve Aus­wir­kun­gen auf ihre Kar­rie­re ha­ben könn­te. Es ist pa­ra­dox: BDS ist eine Be­we­gung, die auf Aus­schluss mit Aus­schluss re­agiert – und alle in Iso­la­ti­ons­haft nimmt. Die Angst, die BDS be­kämp­fen will, ist Teil von BDS.

Zu spü­ren be­kom­men das alle, Is­rae­lis und Pa­läs­ti­nen­ser, BDS-Geg­ner und BDS-Be­für­wor­ter. Die Be­we­gung bringt das in die Wis­sen­schaft und in die Kunst, was zu al­len Zei­ten der größ­te Feind von Wis­sen­schaft und Kunst war: Mo­ra­lis­mus. Aber recht­fer­tigt al­lein die ideo­lo­gi­sche Nähe ei­nes Künst­lers zur BDS-Be­we­gung, die­sem Künst­ler die Büh­ne zu ver­bie­ten und ihn von ei­nem Fes­ti­val aus­zu­la­den? Be­deu­tet das nicht, sich der Lo­gik der BDS-Be­we­gung an­zu­schlie­ßen, sie mit ih­ren ei­ge­nen, un­lau­te­ren Mit­teln zu be­kämp­fen? Boy­kott er­zeugt Ge­gen­boy­kott.

Die In­ten­dan­tin Carp klagt, sie sei zwi­schen zwei La­ger ge­ra­ten: auf der ei­nen Sei­te die Kam­pa­gne des BDS, auf der an­de­ren Sei­te de­ren Geg­ner. »Ich will ei­nen drit­ten Stand­punkt ein­neh­men, ei­nen dif­fe­ren­zier­ten. Aber heu­te hat nie­mand mehr Bock auf Dif­fe­ren­zie­rung, alle ha­ben Bock auf ein­deu­ti­ge Po­si­tio­nen und Hass.«

 

Be­vor Carp sich zum In­ter­view be­reit er­klärt, fragt sie, wie der Re­por­ter zum Is­ra­el-Pa­läs­ti­na-Kon­flikt ste­he. Was selt­sam ist, denn ein Ge­sin­nungs­test steht in der Re­gel nicht am Be­ginn von Ge­sprä­chen. Dann aber spricht Carp sym­pa­thisch und sehr trans­pa­rent, sie denkt beim Re­den, und manch­mal re­det sie auch, ohne zu den­ken. Umso ner­vö­ser wird sie nach dem Ge­spräch, als sie die wört­li­chen Zi­ta­te wie ver­ab­re­det vor­ge­legt be­kommt – und bei Wei­tem nicht alle au­to­ri­sie­ren möch­te. Sie muss vor­sich­tig sein im Mo­ment.

Dass Carp die Young Fa­thers zu­nächst aus­ge­la­den hat, sei eine »tak­ti­sche Ent­schei­dung« ge­we­sen, sagt sie, um die In­sti­tu­ti­on Ruhr­tri­en­na­le zu schüt­zen und auch sich selbst: »Wer wird schon gern als An­ti­se­mi­tin hin­ge­stellt?« Sie habe sich ner­vös ma­chen las­sen.

Zum Um­den­ken brach­ten sie die Mails vie­ler Künst­ler, die sie eben­falls für ihr Pro­gramm ge­bucht hat­te und die nun ge­gen die Aus­la­dung der Young Fa­thers pro­tes­tier­ten; die meis­ten die­ser Mail­schrei­ber stam­men aus dem ara­bi­schen Raum. Carp hat­te sich be­wusst da­für ent­schie­den, vie­le Künst­ler von dort ein­zu­la­den: »Ich woll­te dem glo­ba­len Sü­den eine Stim­me ge­ben we­gen der be­schä­men­den Ab­schot­tungs­po­li­tik, die Eu­ro­pa in­zwi­schen wie­der be­treibt.« Die­se Ent­schei­dung flog ihr plötz­lich um die Oh­ren.

Pro­test­mails schick­ten aber auch der bel­gi­sche Cho­reo­graf Alain Pla­tel und der US-ame­ri­ka­ni­sche Kom­po­nist El­liott Sharp. Die Aus­la­dung der Young Fa­thers habe ihn »ziem­lich be­un­ru­higt«, schrieb die­ser: Es müs­se mög­lich sein, die is­rae­li­sche Re­gie­rung zu kri­ti­sie­ren, ohne als An­ti­se­mit be­zeich­net zu wer­den. Und das, schob er hin­ter­her, schrei­be er »als Jude und Sohn ei­nes Ho­lo­caust-Über­le­ben­den«.

Carp ha­ben die Mails sehr be­wegt. »Ich muss­te mei­ne Credi­bi­li­ty bei den Künst­lern wie­der­her­stel­len.« Sie sei Ku­ra­to­rin und neh­me die Wort­her­kunft ernst: Cura­re heißt küm­mern.

So selbst­los, wie das klingt, war das Vor­ge­hen frei­lich nicht. Hät­te sie auf der Aus­la­dung be­stan­den, sagt sie, hät­te sie wahr­schein­lich ein Drit­tel ih­res Pro­gramms ver­lo­ren – vie­le Künst­ler aus der ara­bi­schen Welt hät­ten sich wohl mit den schot­ti­schen Is­ra­el­boy­kot­teu­ren so­li­da­ri­siert. We­ni­ge Wo­chen vor Be­ginn wäre das Fes­ti­val be­droht ge­we­sen. »Wenn ich völ­lig über­zeugt ge­we­sen wäre, dass die Young Fa­thers an­ti­se­mi­tisch sind, hät­te ich das in Kauf ge­nom­men.« Aber so? »So­lan­ge Künst­ler nicht auf der Büh­ne Pro­pa­gan­da ma­chen, so­lan­ge habe ich kein Recht, Künst­lern die Büh­ne zu ver­bie­ten.«

Was bleibt, ist die Fra­ge, was an­de­re Fes­ti­val­ma­cher aus Carps Schla­mas­sel ler­nen kön­nen? Viel­leicht hät­te Carp di­rekt eine Po­di­ums­dis­kus­si­on nach­schie­ben, noch bes­ser: eine is­rae­li­sche Grup­pe nach­no­mi­nie­ren sol­len – und dann schau­en, wie die Young Fa­thers re­agie­ren. Ver­mut­lich hät­ten sie ih­ren Auf­tritt von al­lein ab­ge­sagt.

Aber auch bau­ern­schlau ist man meist erst hin­ter­her.

Tobias Becker, Andreas Borcholte, Georg Diez, Jurek Skrobala