Nazih Musharbash zum Vortrag von Shir Hever

Grußwort von Nazih Musharbash – DPG-Präsident

Zum Vortrag von Dr. Shir Hever „Liberale versus illiberale Demokratie – Israels Neuordnung und seine außenpolitischen Beziehungen“ am 25.04.2019 in Münster.

Liebe Freundinnen und Freunde des Friedens in Israel und in Palästina,
Münster und Osnabrück sind als Friedensstädte und für ihre Haltung für Frieden, Meinungsfreiheit und Menschenrechte weltweit bekannt. Dass die heutige Veranstaltung in Kooperation durchgeführt wird, ist ein Ausdruck der Botschaft des Westfälischen Friedens.

Als Mitveranstalter darf ich namentlich und dankend erwähnen: Telgter Arbeitskreis Israel-Palästina, Institut für Palästinakunde e.V. Bonn, Deutsch-Palästinensische Gesellschaft e.V., EineWeltNetz NRW, Gesellschaft für bedrohte Völker und Eine Welt Forum Münster.

Wir können stolz sein auf eine lebendige Friedenskultur unserer Städte.
Anders als in anderen Städten bundesweit können Veranstaltungen mit Themen, die woanders in der Republik nicht zugelassen oder gar abgesetzt werden, hier öffentlich ausgeschrieben und ohne Protest durchgeführt werden. Denn zu einer Friedenskultur gehört zwangsläufig eine sachlich und kontrovers geführte Diskussion. Hier hat man längst verstanden, dass eine an Politikern und Regierungen geäußerte Kritik niemals gegen Menschen oder Religionen gerichtet ist.

Deshalb haben wir von der Deutsch-Palästinensischen Gesellschaft kein Versändnis für die mittlerweile in Deutschland gängig gewordene Praxis, dass jegliche Kritik an Israels Regierung automatisch als antisemitisch eingestuft und deshalb verhindert wird.

Israel ist stolz gewesen als die einzige Demokratie im Nahen Osten genannt zu werden. Doch der verdrängte Konflikt, ob der Staat zugleich jüdisch und demokratisch sein kann, ist spätestens durch die Verabschiedung des israelischen Nationalstaatsgesetzes Ende letzten Jahres offenkundiger als je zuvor. Netanjahu hat es unmissverständlich so formuliert: „Israel ist nicht der Staat all seiner Bürger. Israel ist der Nationalstaat allein des jüdischen Volkes.“

Netanjahu und seine Regierung wollen demnach alleine bestimmen, wer ein wahrer Jude ist. Eine Anmaßung und Beleidigung von Millionen von Juden auf der ganzen Welt, die Israels Politik kritisch gegenüber stehen.

Unser Referent, dem ich an dieser Stelle für seine Aufrichtigkeit und klare Position in der Einhaltung von Meinungsfreiheit und Menschenrecht und für dessen Kampf zur Beendigung der israelischen Besatzung herzlich danke, ist, mit Sicherheit als Kritiker der heutigen israelischen Politik, kein angenehmer Jude für den Theokraten Netanjahu.

Die neue rechtsnationalistische Regierung wird alle mit den Palästinensern verhandelten Übereinkünfte wie etwa die Zweistaatenlösung weiterhin infrage stellen. Netanjahu versprach zudem Teile des besetzten Palästinas zu annektieren.

Liebe Gäste,
der mittlerweile über 100 Jahre andauernde Streit um Palästina, oft als Konflikt verharmlost, wird durch die tobenden Gewaltausbrüche und Kriege im Nahen Osten überlagert und überschattet. Die seit über 50 Jahren bestehende Besetzung des noch nicht gegründeten Palästinas in den Grenzen von 1967 wird zunehmend und einseitig von Israel zementiert. Das Leben der palästinensischen Zivilbevölkerung wird immer schwieriger. Fatale Entscheidungen wie sie der US-Präsident vor kurzem getroffen hat, beschleunigen die Gewaltspirale, die wir als Friedensaktivisten eigentlich stoppen wollen.

Sehr geehrte Damen und Herren,
die Solidarität mit dem entrechteten palästinensischen Volk mit seinem Bestreben nach Frieden, Anspruch auf Freiheit und Wunsch auf Selbstbestimmung, richtet sich nicht gegen das Existenzrecht des Staates Israel. Mit unserem gemeinsamen Anliegen, uns verstärkt für den Frieden einzusetzen, möchten wir Sie zugleich als Freunde Israels und als Freunde Palästinas gewinnen. Nicht zuletzt und vor allem im Interesse Israels sollte die Besatzung beendet werden, bevor Israel dauerhaft eine Besatzungsmacht bleibt.

Die Spirale der Gewalt im so genannten „Heiligen Land“ kann erst beendet werden, wenn Palästinenser und jüdische Israelis jeweils zwei Dinge verinnerlichen und respektieren:

• Jeder Jude auf der Welt, egal wo er lebt, lebt mit der Vernichtungsangst.
• Die Shoa ist Teil der jüdischen Identität.
Das muss jeder Araber, jeder Palästinenser verinnerlichen und respektieren.

• Jeder Palästinenser, egal wo er lebt, lebt mit der Vertreibungsangst.
• Die Nakba ist Teil der palästinensischen Identität.
Das muss jeder Israeli, jeder Jude verinnerlichen und respektieren.

Nur wenn dies der Fall ist, erst dann können wir über ein friedliches, gerechtes und friedvolles Zusammenleben debattieren und eine ehrliche völkerrechtliche Lösung erreichen.