Zwei Demokratien statt eines Apartheid-Staates

Zwei Demokratien statt eines Apartheid-Staates
Detlef Griesche, 13.05.2018

Ohne Rechte für Palästinenser wäre Israel keine Demokratie, sondern ein Apartheid-Staat. Kritik an der Besatzungspolitik ist kein Antisemitismus und wichtiger denn je, sagt Gastautor Detlef Griesche.

Die Ächtung von Antisemitismus ist ohne jeden Zweifel gesellschaftlich notwendig. Wenn jedoch konstruktive friedensorientierte Kritik an der israelischen Besatzungspolitik in Antisemitismusvorwürfe und Diffamierung von Friedensaktivisten in Israel wie in Deutschland mündet, dann wird der Anti-Antisemitismus politisch missbraucht. Das führt zur Einschränkung von demokratischen Grundrechten wie Meinungs- und Versammlungsfreiheit.

Selbst in Israel mehren sich die Stimmen von Wissenschaftlern, Schriftstellern und ehemaligen Politikern, Militärs und Geheimdienstlern, die wie der Holocaust-Überlebende und bedeutende Philosoph Zeev Sternhell „die Besatzung als größtes Desaster der modernen Geschichte seit der Schoah“ sehen. Die Einschränkung von Rechten für NGOs, Rassegesetze gegen die Rechte der Palästinenser, gezielte Schüsse mit scharfer Munition durch eine hochgerüstete Armee auf unbewaffnete Demonstranten, die demonstrative Verlegung der US-Botschaft nach Jerusalem, um nur einige aktuelle Beispiele neben den jahrzehntelangen Schikanen an Checkpoints, der Zerstörung von Tausenden Häusern und Plantagen, willkürlichen Verhaftungen ohne Anklagen und die vorangetriebene Siedungspolitik zu nennen, zeigt, wie die „einzige Demokratie in Nahost“ beim „Prozess der Selbstzerstörung“ voranschreitet. Berühmte Autoren wie Amos Oz und David Grossman sehen, „dass die Demokratie langfristig an der Besatzung zugrunde geht“ und dass Israel „die letzte westliche Kolonialmacht“ ist. Der Präsident des Jüdischen Weltkongresses Ronald S. Lauder schrieb jüngst, dass „solche kurzfristige israelische Politik eine irreversible Ein-Staat-Realität (schafft)“.

Wenn Palästinenser dann volle Rechte bekämen, wäre dies kein jüdischer Staat mehr. Aber ohne Rechte wäre das keine wie auch immer gestaltete Demokratie mehr, sondern ein Apartheid-Staat! Erinnert wird hier auch an die zionistischen „Ideale“ und Einstellungen. Schon früh schrieb Ben-Gurion in seinen Tagebüchern: „Wer Zionismus vom moralischen Standpunkt betrachtet, ist kein Zionist.”

Zum Geburtstag des Staates Israel fallen die Reden besonders laut aus, weil jeder im Grunde weiß, dass die Realität derzeit ganz anders aussieht. Nie wieder Rassismus, Toleranz der Völkerrechtsnormen – diese Lehren aus dem Faschismus sollten eigentlich auch und gerade heute für Israel gelten. Nur ein demokratisches Israel neben einem demokratischen Palästina in den früheren Grenzen würde die weltweite Akzeptanz gewinnen und könnte zum Frieden im Nahen Osten beitragen. Kritik an der Besatzungspolitik ist somit kein Antisemitismus und wichtiger denn je!

Zur Person:
Unser Gastautor ist Mitglied des erweiterten Präsidiums der Deutsch-Palästinensischen Gesellschaft. Von 1982 bis 1991 war der Universitätsdozent SPD-Abgeordneter in der Bremischen Bürgerschaft.