Spiegel-Gesinnungstest

Leserbrief zum angehängten Bericht im Spiegel

Der Antisemitismus greift in Kultur ein, dabei wird die berechtigte Kritik an der Politik Israels mit Antisemitismus bewusst gleich gestellt…

„In Ihrem Beitrag heißt es: »Kauft nicht beim Is­rae­li« – das klingt in vie­len Oh­ren fast wie »Kauft nicht beim Ju­den!«. Diese Gleichstellung ist plakativ und dazu geeignet, unbestrittene Fakten auszublenden. Die Palästinenser werden heute nun mal vom israelischen Staat drangsaliert und unterdrückt, wie dies von Ihnen selbst angedeutet wird. Dass dieser Staat „zufällig“ jüdisch geprägt ist, rechtfertigt in keiner Weise, die Position der Palästinenser und ihrer Förderer als antisemitisch im Sinne der NA-Ideologie zu diffamieren. Wäre dieser Staat englisch oder maltesisch, würden sich die Palästinenser dementsprechend antienglisch bzw. antimaltesisch verhalten. Daraus ergäbe sich nicht der Vorwurf des Rassismus oder einer menschenverachtenden Ideologie.

Dass Sie in Ihrem Beitrag die Undenkbarkeit  der Unterscheidung zwischen dem Antisemitismus und einer israelkritischen Haltung suggerieren, („Ist da über­haupt ein Un­ter­schied denk­bar: zwi­schen an­ti­is­rae­lisch und an­ti­se­mi­tisch?) ist aus der Sicht eines differenzierten Denkens höchst bedenklich.

Im Übrigen: Was spricht völkerrechtlich und moralisch dagegen, die Politik eines Staates (Israel) zu sanktionieren, der die Rechte eines besetzten Volkes (Palästinenser)  mit Füßen tritt, große Teile seiner Territorien abriegelt bzw. dort Siedlungen im exzessiven Maße auf Kosten der autochthonen Bevölkerung errichtet? Warum sind Sanktionen gegen Russland und Iran legitim, im Falle Israels jedoch verpönt, weil sie womöglich antisemitisch oder rassistisch sein könnten? Im Übrigen richten sich die Boykottaufrufe maßgeblicher BDS-Aktivisten nicht gegen „israelische“ Waren, sondern gegen solche Waren, die aus den völkerrechtswidrigen Siedlungen Stammen. Dies ist ein substantieller Unterschied, der in Ihrem Artikel wenig Beachtung findet.“

Dr. Aref Hajjaj

 

 

Spiegel, 7/7/2018

Gesinnungstest

Antisemitismus Der Nahostkonflikt greift auf deutsche Kulturfestivals über. Wo ist die Grenze zwischen Israelkritik und Judenhass?

Die Young Fa­thers klin­gen wie Gos­pel­sän­ger, die lan­ge in ei­ner Kir­che ein­ge­sperrt wa­ren – und nun in die Frei­heit ent­las­sen wor­den sind: in eine Welt der un­be­grenz­ten Mög­lich­kei­ten, aber auch der vie­len Wahr­hei­ten und Kon­flik­te. Sie sin­gen über Iden­ti­tät und Macht, Ge­walt und Krieg, Lie­be und Sex. Und im­mer wie­der über Gott und den Teu­fel.

Es ist die Mu­sik zwei­feln­der jun­ger Män­ner, ein Wei­ßer und zwei Schwar­ze, eine schot­ti­sche Pop­grup­pe in der di­gi­tal zer­fa­ser­ten Post­mo­der­ne. Kri­ti­kern gilt sie als »die in­ter­es­san­tes­te neue­re Band im eng­lisch­spra­chi­gen Raum«, und ent­spre­chend stolz war Ste­fa­nie Carp, die neue In­ten­dan­tin der Ruhr­tri­en­na­le, als sie die Young Fa­thers für ein Kon­zert ge­win­nen konn­te. In ei­ner Ju­bel­mel­dung teil­ten die Ma­cher des im Au­gust be­gin­nen­den Fes­ti­vals mit, de­ren Mu­sik las­se sich »in kei­ne Schub­la­de ste­cken«.

Die po­li­ti­sche Ein­stel­lung der Band­mit­glie­der even­tu­ell schon – in die un­ters­te Schub­la­de, die mit den An­ti­se­mi­ten. Ob dies zu Recht ge­schieht oder nicht, ist um­strit­ten, aber die De­bat­te bringt Carp in Be­dräng­nis, ein­zel­ne Jour­na­lis­ten und Po­li­ti­ker ha­ben schon ih­ren Rück­tritt ge­for­dert. Die­se Wo­che be­rich­te­te nun so­gar die »New York Times« über den Fall. Der Te­nor: Das Ge­ze­ter an der Ruhr habe we­nig mit der Mu­sik der Band zu tun, aber sehr viel mit deut­scher Ge­schich­te.

Die Young Fa­thers se­hen sich als Ver­tre­ter des so­ge­nann­ten Anti-Es­ta­blish­ments, sie twit­tern ge­gen rech­te De­mons­tra­tio­nen, zei­gen sich auf Kund­ge­bun­gen der Grup­pie­rung Unite Against Fa­cism, for­dern ein Groß­bri­tan­ni­en ohne Atom­waf­fen und set­zen sich für die Auf­nah­me von Flücht­lin­gen ein. Bis­lang wur­de kein Vor­wurf be­kannt, dass sie sich auf ih­ren Plat­ten oder bei ih­ren Li­ve­auf­trit­ten an­ti­se­mi­tisch äu­ßern wür­den, aber: Sie ha­ben sich min­des­tens zwei Kam­pa­gnen der BDS-Be­we­gung an­ge­schlos­sen.

Die Be­we­gung wur­de 2005 von mehr als hun­dert zi­vil­ge­sell­schaft­li­chen pa­läs­ti­nen­si­schen Grup­pen ge­grün­det, sie setzt sich für die Rech­te der Pa­läs­ti­nen­ser ein und hetzt ge­gen den is­rae­li­schen Staat. Das Kür­zel BDS steht für ihre Stra­te­gie: Boy­cott, Di­vest­ment and Sanc­tions, zu Deutsch Boy­kott, Ab­zug von In­ves­ti­tio­nen und Sank­tio­nen. Vor­bild ist das Vor­ge­hen ge­gen den da­ma­li­gen Apart­heid­staat Süd­afri­ka in den Acht­zi­ger­jah­ren. Die wei­ße Bu­ren­re­gie­rung al­ler­dings war ein ras­sis­ti­sches Re­gime, die Si­tua­ti­on Is­ra­els hat an­de­re Grün­de: die Lage des Lan­des in­mit­ten der ihm von An­be­ginn an feind­lich ge­sinn­ten is­la­mi­schen Welt, dazu die his­to­ri­sche Er­fah­rung des Ho­lo­causts.

Ei­ner der pro­mi­nen­tes­ten Ver­tre­ter des BDS ist Ro­ger Wa­ters, einst Star der Rock­band Pink Floyd. 2017 führ­ten er und zahl­rei­che an­de­re Mu­si­ker, dar­un­ter eben auch die Young Fa­thers, eine Kam­pa­gne ge­gen die bri­ti­sche Band Ra­dio­head: Sie sol­le ein in Tel Aviv ge­plan­tes Kon­zert ab­sa­gen. Der­ar­ti­ge Boy­kott­auf­ru­fe sind ty­pisch für den BDS. Es geht dar­um, Is­ra­el kul­tu­rell zu iso­lie­ren. Ra­dio­head wi­der­setz­ten sich – und spiel­ten. Es folg­te ein Shits­torm, beim Glas­t­on­bu­ry Fes­ti­val wur­den Ra­dio­head aus­ge­buht. Die Band be­schrieb den Druck auf sie als »zer­mür­ben­de Er­fah­rung«.

Zu den Mu­si­kern, die sich in den ver­gan­ge­nen Jah­ren an­ders ent­schie­den und Kon­zer­te in Is­ra­el ab­ge­sagt ha­ben, zäh­len Björk und Lor­de, El­vis Co­s­tel­lo und die Go­ril­laz. Die Pop­kul­tur, die im bes­ten Fall eine Fei­er der Ge­mein­schaft ist, wird im­mer mehr zu ei­nem Schau­platz von Gra­ben­kämp­fen.

Wa­ters greift in die­sen Kämp­fen mit­un­ter zu Waf­fen, die zu Recht ge­äch­tet sind; bei sei­nen Kon­zer­ten lässt er schon mal ei­nen Bal­lon in die Luft stei­gen, der die Form ei­nes Schweins hat – und ei­nen Da­vid­stern trägt. Öffent­lich-recht­li­che Fern­seh­sen­der in Deutsch­land wei­gern sich in­zwi­schen, sei­ne Kon­zert­auf­trit­te aus­zu­strah­len.

Ist die BDS-Be­we­gung nur an­ti­is­rae­lisch oder auch an­ti­se­mi­tisch? Ist da über­haupt ein Un­ter­schied denk­bar: zwi­schen an­ti­is­rae­lisch und an­ti­se­mi­tisch? Und, falls ja: Soll­ten deut­sche Po­li­ti­ker und Fes­ti­val­ma­cher die Fra­ge even­tu­ell trotz­dem an­ders be­ant­wor­ten als, sa­gen wir mal, bri­ti­sche, bei de­nen die Be­we­gung bis­lang viel prä­sen­ter war als bei uns?

Es sind die ganz gro­ßen Fra­gen, mit de­nen sich die In­ten­dan­tin Carp kon­fron­tiert sieht, seit­dem ein Blog das En­ga­ge­ment der Young Fa­thers skan­da­li­siert hat. Bei Boy­kott­auf­ru­fen ge­gen Is­ra­el schril­len in Deutsch­land alle Alarm­glo­cken. »Kauft nicht beim Is­rae­li« – das klingt in vie­len Oh­ren fast wie »Kauft nicht beim Ju­den!«.

Als der Druck zu groß wur­de, for­der­te Carp die Young Fa­thers auf, sich vom BDS zu dis­tan­zie­ren. Die Band wei­ger­te sich. Carp lud sie aus. Dar­auf­hin in­sze­nier­ten sich die drei schot­ti­schen Mu­si­ker als Op­fer von Zen­sur, be­klag­ten auf der In­ter­net­sei­te »Ar­tists for Pa­lesti­ne UK« die »fal­sche und un­fai­re Ent­schei­dung« der Ruhr­tri­en­na­le. Was sie nicht schrie­ben: dass die Ruhr­tri­en­na­le den Wort­laut der Ab­sa­ge mit dem Ma­na­ger der Band ab­ge­stimmt und auf des­sen Wunsch zur har­ten For­mu­lie­rung »Aus­la­dung« ge­grif­fen hat­te. So er­zählt es Carp. »Der Ma­na­ger hat uns ein biss­chen rein­ge­legt. Wir wa­ren ganz schön naiv.« Carp lud die Band schließ­lich wie­der ein, doch nun woll­te die Band nicht mehr. Ein PR-De­sas­ter.

Bei Boykottaufrufen gegen Israel schrillen in Deutschland alle Alarmglocken.

Carp hat der Ruhr­tri­en­na­le, die sie in die­sem Jahr zum ers­ten Mal lei­tet, das Mot­to »Zwi­schen­zeit« ver­passt, sie wer­de »For­ma­te des Vor­läu­fi­gen er­fin­den«, hat sie an­ge­kün­digt. Das Pro­blem ist: Gute Kunst mag am­bi­va­lent sein wie eh und je, aber Am­bi­va­len­zen ab­seits der Kunst hal­ten vie­le Men­schen heu­te nicht mehr aus. In ei­ner Zeit, in der nichts mehr si­cher scheint, seh­nen sie sich nach Si­cher­hei­ten, auch nach ideo­lo­gi­schen, sie ver­lan­gen nach ein­deu­ti­gen Po­si­tio­nen und kla­ren An­sa­gen, Dau­men hoch oder Dau­men run­ter.

Carp hin­ge­gen stand in der BDS-De­bat­te von An­fang an nicht mit bei­den Bei­nen fest auf dem Bo­den ei­ner Ideo­lo­gie, sie tip­pel­te von ei­nem Fuß auf den an­de­ren. Man kann dar­in eine in­tel­lek­tu­el­le Tu­gend se­hen, aber auch eine Schwä­che; man kann es für sym­pa­thisch hal­ten, aber auch für naiv: ein Fes­ti­val zu ma­na­gen wie frü­her, als es noch kei­ne So­ci­al-Me­dia-Kam­pa­gnen gab.

Nord­rhein-West­fa­lens Kul­tur­mi­nis­te­rin Isa­bel Pfeif­fer-Po­ens­gen kri­ti­sier­te die Wie­der­ein­la­dung der Young Fa­thers, die Kul­tur­stif­tung des Bun­des eben­falls. In­zwi­schen schlägt die De­bat­te auf die Stim­mung in Carps Team, des­sen Mit­glie­der sich kri­ti­schen Fra­gen und An­ti­se­mi­tis­mus­vor­wür­fen stel­len müs­sen, selbst an der Ti­cket­hot­line.

Im bri­ti­schen »Guar­di­an« hin­ge­gen er­schien ein of­fe­ner Brief, der die Aus­la­dung der Young Fa­thers als Akt der Zen­sur gei­ßelt: »Wir sind be­un­ru­higt von Ver­su­chen in Deutsch­land, Künst­lern po­li­ti­sche Auf­la­gen zu ma­chen, wenn sie sich für Men­schen­rech­te von Pa­läs­ti­nen­sern ein­set­zen.« Un­ter­zeich­net ha­ben ihn 79 Künst­ler und In­tel­lek­tu­el­le, dar­un­ter die fe­mi­nis­ti­sche Phi­lo­so­phin Ju­dith But­ler und der Lin­gu­ist Noam Chomsky, die bei­de jü­di­scher Ab­stam­mung sind, die schwar­ze Bür­ger­recht­le­rin An­ge­la Da­vis, der süd­afri­ka­ni­sche Frie­dens­no­bel­preis­trä­ger Des­mond Tutu und na­tür­lich et­li­che Mu­si­ker, dar­un­ter Jar­vis Co­cker und Ro­ger Wa­ters.

Wel­chen Druck die BDS-Be­we­gung auf­bau­en kann, zeig­te sich ver­gan­ge­nes Jahr in Ber­lin beim »Pop-Kul­tur«-Fes­ti­val. Bis zu 150 Bands und Künst­ler tra­ten auf, das Bud­get war opu­lent: etwa an­dert­halb Mil­lio­nen Euro. Die De­bat­te um das Fes­ti­val ent­zün­de­te sich an 500 Euro. Das war der Be­trag, den die is­rae­li­sche Bot­schaft bei­ge­steu­ert hat­te, ein Rei­se­kos­ten­zu­schuss für die is­rae­li­sche Sän­ge­rin Riff Co­hen. Das Fes­ti­val druck­te ein Logo der Bot­schaft im Pro­gramm­heft, so wie die Lo­gos Dut­zen­der an­de­rer Part­ner. Ein üb­li­cher Vor­gang in nor­ma­len Zei­ten, ein Po­li­ti­kum in auf­ge­heiz­ten Zei­ten wie die­sen.

Über die eng­lisch­spra­chi­ge BDS-Web­site star­te­te die Pa­lesti­ni­an Cam­pai­gn for the Aca­de­mic and Cul­tu­ral Boy­cott of Is­ra­el (PAC­BI) ei­nen Boy­kott­auf­ruf. Über­schrift: »Pop-Kul­tur 2017 – spon­so­red by Apart­heid«. Plötz­lich gal­ten die Ber­li­ner als ver­län­ger­ter Arm is­rae­li­scher Kul­tur­po­li­tik mit dem Ziel, der Re­gie­rung Net­anya­hu ein bes­se­res Image zu ver­schaf­fen. Acht Künst­ler und Bands sag­ten ab, dar­un­ter die Young Fa­thers.

 

Kul­tur­staats­mi­nis­te­rin Mo­ni­ka Grüt­ters (CDU) nann­te die BDS-Kam­pa­gne »ab­so­lut un­er­träg­lich«, der Ber­li­ner Kul­tur­se­na­tor Klaus Le­de­rer (Lin­ke) »wi­der­lich«. Bür­ger­meis­ter Mi­cha­el Mül­ler (SPD) sprach von Me­tho­den aus der Na­zi­zeit und gab an, künf­tig al­les Mög­li­che zu tun, dem BDS »Räu­me und Gel­der für sei­ne an­ti­is­rae­li­sche Het­ze zu ent­zie­hen«.

Auch die­ses Jahr ruft der BDS zum Boy­kott des Fes­ti­vals auf, das vom 15. bis zum 17. Au­gust ge­plant ist, dem Auf­ruf sind bis­lang fünf Künst­ler ge­folgt, dar­un­ter die bri­ti­sche Post­punk-Band Shop­ping und der US-Ex­pe­ri­men­tal­mu­si­ker John Maus.

Es sei­en 5 von 150 ein­ge­la­de­nen Künst­lern, mehr nicht, be­tont Kat­ja Lu­cker, Lei­te­rin des Mu­si­cboards, ei­ner In­sti­tu­ti­on des Ber­li­ner Se­nats, die das »Pop-Kul­tur«-Fes­ti­val ver­an­stal­tet. Sie ist be­müht, die Re­la­ti­on zu wah­ren und nicht in Hys­te­rie zu ver­fal­len, sie sagt aber auch: »Wir ha­ben im Vor­feld Künst­ler aus Bei­rut, Tu­ne­si­en oder Ägyp­ten an­ge­fragt, die ha­ben von An­fang an ge­sagt, dass sie auf kei­nen Fall bei uns spie­len wol­len.« Die BDS-Kam­pa­gne ver­hin­de­re, dass pa­läs­ti­nen­si­sche und is­rae­li­sche Künst­ler sich auf neu­tra­lem Bo­den be­geg­ne­ten und mit­ein­an­der ins Ge­spräch kä­men.

Lu­cker will sich vom BDS nicht ein­schüch­tern las­sen, die Kul­tur­ab­tei­lung der is­rae­li­schen Bot­schaft be­tei­ligt sich auch dies­mal an den Rei­se­kos­ten, nun so­gar mit 1200 statt 500 Euro. »Wir ar­bei­ten selbst­ver­ständ­lich wei­ter­hin mit Is­ra­el zu­sam­men.« Ein­ge­la­den hat das Fes­ti­val un­ter an­de­rem die Au­to­rin Liz­zie Do­ron, die für ihr Buch »Sweet Oc­cupa­ti­on« mit ehe­ma­li­gen pa­läs­ti­nen­si­schen Ter­ro­ris­ten und is­rae­li­schen Wehr­dienst­ver­wei­ge­rern ge­spro­chen hat. Den Rei­se­zu­schuss zahl­te die Bot­schaft trotz­dem.

»Boy­kott ist nicht Dia­log«, sagt Lu­cker. »Der BDS ruft nicht zum Frie­den im Nah­ost­kon­flikt auf, im Ge­gen­teil: BDS spal­tet und sät Hass.« Gern wür­de sie mit den Künst­lern de­bat­tie­ren, die den BDS un­ter­stüt­zen. Aber das sei mo­men­tan nicht mög­lich. Alle An­ge­bo­te, um die Kon­zer­te her­um eine Dis­kus­si­on zu ver­an­stal­ten, bei der die Bands ihre Hal­tung dar­le­gen könn­ten, lie­fen ins Lee­re.

Auch der SPIEGEL hät­te den Young Fa­thers gern die Ge­le­gen­heit ge­ge­ben, sich zu äu­ßern, aber die Band ließ aus­rich­ten, dass sie dar­an der­zeit kein In­ter­es­se habe. Der BDS hin­ge­gen teil­te auf An­fra­ge des SPIEGEL mit, dass er die Young Fa­thers für An­ge­hö­ri­ge ei­ner »neu­en Ge­ne­ra­ti­on po­li­tisch den­ken­der Künst­ler« hal­te, »die sich nicht bre­chen lässt vom deut­schen Neo-Mc­Car­thy­is­mus«. Das deut­sche »Es­ta­blish­ment« sei ziem­lich iso­liert in sei­ner »dog­ma­ti­schen, re­pres­si­ven, anti-pa­läs­ti­nen­si­schen Ein­stel­lung«, schrieb Ste­pha­nie Adam, Ko­or­di­na­to­rin der PAC­BI.

 

Die Kam­pa­gnen und Ge­gen­kam­pa­gnen, die Hys­te­rie und der Hass: All das kehrt in Wel­len wie­der, seit der BDS im Jahr 2005 ge­grün­det wor­den ist. Die Be­we­gung for­der­te Grund­rech­te für die ara­bisch-pa­läs­ti­nen­si­schen Bür­ger Is­ra­els und ein Recht auf Rück­kehr für die pa­läs­ti­nen­si­schen Flücht­lin­ge, fer­ner den Ab­riss der Mau­er, die Is­ra­el zum Schutz vor Ter­ror­at­ta­cken er­rich­tet hat­te, und das Ende der Be­set­zung.

Aber wel­chen Lan­des ge­nau? Nur der 1967 be­setz­ten Ge­bie­te oder doch gleich von ganz Is­ra­el?

Der BDS-In­itia­tor Omar Barg­hou­ti for­mu­lier­te wie­der­holt das Ziel, ei­nen pa­läs­ti­nen­si­schen Staat auf dem Ge­biet des heu­ti­gen Is­ra­els zu er­rich­ten. Geht es der Be­we­gung um das Ende ei­ner be­stimm­ten Po­li­tik oder um das Ende ei­nes Staa­tes? Wird Is­ra­el dä­mo­ni­siert, de­le­gi­ti­miert oder mit be­son­de­ren Stan­dards ge­mes­sen? War­um sieht sich kein an­de­res Land der Welt ei­ner Kam­pa­gne wie der des BDS aus­ge­setzt?

Das sind die Fra­gen, bei de­nen die De­bat­te um den BDS im­mer wie­der lan­det, sie ma­chen die De­bat­te so hit­zig, weil der Über­gang von Is­ra­el­kri­tik zu An­ti­se­mi­tis­mus tat­säch­lich oft flie­ßend ist.

Wich­tig ist da­bei, wer spricht und mit wel­chen Mo­ti­ven. Der is­rae­li­sche Film­re­gis­seur Udi Alo­ni, der den BDS un­ter­stützt, be­schwert sich dar­über, wenn sich deut­sche In­tel­lek­tu­el­le ge­gen den BDS wen­den, mög­li­cher­wei­se aus ei­nem Ge­fühl von Schuld den Ju­den ge­gen­über – wo doch für ihn als lin­ken Is­rae­li der BDS ein ge­eig­ne­ter Weg sei, die in sei­nen Au­gen rechts­ex­tre­me Re­gie­rung von Mi­nis­ter­prä­si­dent Net­anya­hu zu be­kämp­fen.

»Ich un­ter­stüt­ze BDS, weil ich so mei­ne jü­di­schen Wer­te be­schüt­ze«, sagt Alo­ni, der sich in Do­ku­men­tar- und Spiel­fil­men wie­der und wie­der mit dem is­rae­lisch-pa­läs­ti­nen­si­schen Kon­flikt be­schäf­tigt hat. »Ich sage nicht, dass Deut­sche BDS un­ter­stüt­zen soll­ten. Ich wür­de nur dar­um bit­ten, dass sie nicht ei­nen ge­rech­ten Wi­der­stand kri­ti­sie­ren oder zen­sie­ren und mir nicht sa­gen, wie ich mein Jü­disch­sein le­ben soll­te.« Er sei mit den Mil­lio­nen Pa­läs­ti­nen­sern so­li­da­risch, die un­ter is­rae­li­scher Herr­schaft leb­ten und de­ren Stim­me nicht ge­hört wer­de. »Ich sage: Hört zu. Wir sind die Stim­me der Schwa­chen. BDS ist eine Form von ge­walt­lo­sem Pro­test.«

 

Doch wie ge­walt­los ist eine Form des Pro­tests, die Künst­ler in Angst ver­setzt, die Wis­sen­schaft­ler at­ta­ckiert, wenn sie mit is­rae­li­schen In­sti­tu­tio­nen zu­sam­men­ar­bei­ten? Und vor al­lem: wie ziel­füh­rend?

Der aka­de­mi­sche Boy­kott rich­tet sich just ge­gen je­nes Uni­ver­si­täts­mi­lieu, in dem die Mo­dera­ten oder Li­be­ra­len ar­bei­ten, die doch Ver­bün­de­te sein könn­ten im Ver­such, eine an­de­re Po­li­tik ge­gen­über den Pa­läs­ti­nen­sern zu fin­den. »Das stärkt nur die po­li­ti­sche Rech­te in Is­ra­el«, sagt der An­thro­po­lo­gie­pro­fes­sor Dan Ra­bi­no­witz, der in Tel Aviv lehrt. Die BDS-Be­we­gung trei­be ei­nen Keil zwi­schen pa­läs­ti­nen­si­sche und is­rae­li­sche In­tel­lek­tu­el­le. Seit es den BDS gebe, wür­den und könn­ten sie de fac­to nicht mehr zu­sam­men­ar­bei­ten.

»Der Boy­kott von Aka­de­mi­kern ist ge­ne­rell pro­ble­ma­tisch«, fin­det die US-ame­ri­ka­ni­sche Phi­lo­so­phin Sey­la Ben­ha­bib, die ei­ner se­phar­disch-tür­ki­schen Fa­mi­lie ent­stammt. Is­ra­el be­we­ge sich un­ter der Li­kud-Re­gie­rung in die fal­sche Rich­tung, meint sie, und es sei »die Pflicht ei­ner links-li­be­ra­len De­mo­kra­tin, das zu kri­ti­sie­ren«. Die Fra­ge sei aber doch, »ob BDS der bes­te Weg ist, zu po­si­ti­ven Ver­än­de­run­gen zu kom­men«.

Is­rae­li­sche In­sti­tu­tio­nen und Wis­sen­schaft­ler wer­den aus­ge­grenzt, auf der an­de­ren Sei­te trau­en sich selbst jü­di­sche Aka­de­mi­ker in den USA kaum noch, öf­fent­lich für den BDS ein­zu­tre­ten, weil das ne­ga­ti­ve Aus­wir­kun­gen auf ihre Kar­rie­re ha­ben könn­te. Es ist pa­ra­dox: BDS ist eine Be­we­gung, die auf Aus­schluss mit Aus­schluss re­agiert – und alle in Iso­la­ti­ons­haft nimmt. Die Angst, die BDS be­kämp­fen will, ist Teil von BDS.

Zu spü­ren be­kom­men das alle, Is­rae­lis und Pa­läs­ti­nen­ser, BDS-Geg­ner und BDS-Be­für­wor­ter. Die Be­we­gung bringt das in die Wis­sen­schaft und in die Kunst, was zu al­len Zei­ten der größ­te Feind von Wis­sen­schaft und Kunst war: Mo­ra­lis­mus. Aber recht­fer­tigt al­lein die ideo­lo­gi­sche Nähe ei­nes Künst­lers zur BDS-Be­we­gung, die­sem Künst­ler die Büh­ne zu ver­bie­ten und ihn von ei­nem Fes­ti­val aus­zu­la­den? Be­deu­tet das nicht, sich der Lo­gik der BDS-Be­we­gung an­zu­schlie­ßen, sie mit ih­ren ei­ge­nen, un­lau­te­ren Mit­teln zu be­kämp­fen? Boy­kott er­zeugt Ge­gen­boy­kott.

Die In­ten­dan­tin Carp klagt, sie sei zwi­schen zwei La­ger ge­ra­ten: auf der ei­nen Sei­te die Kam­pa­gne des BDS, auf der an­de­ren Sei­te de­ren Geg­ner. »Ich will ei­nen drit­ten Stand­punkt ein­neh­men, ei­nen dif­fe­ren­zier­ten. Aber heu­te hat nie­mand mehr Bock auf Dif­fe­ren­zie­rung, alle ha­ben Bock auf ein­deu­ti­ge Po­si­tio­nen und Hass.«

 

Be­vor Carp sich zum In­ter­view be­reit er­klärt, fragt sie, wie der Re­por­ter zum Is­ra­el-Pa­läs­ti­na-Kon­flikt ste­he. Was selt­sam ist, denn ein Ge­sin­nungs­test steht in der Re­gel nicht am Be­ginn von Ge­sprä­chen. Dann aber spricht Carp sym­pa­thisch und sehr trans­pa­rent, sie denkt beim Re­den, und manch­mal re­det sie auch, ohne zu den­ken. Umso ner­vö­ser wird sie nach dem Ge­spräch, als sie die wört­li­chen Zi­ta­te wie ver­ab­re­det vor­ge­legt be­kommt – und bei Wei­tem nicht alle au­to­ri­sie­ren möch­te. Sie muss vor­sich­tig sein im Mo­ment.

Dass Carp die Young Fa­thers zu­nächst aus­ge­la­den hat, sei eine »tak­ti­sche Ent­schei­dung« ge­we­sen, sagt sie, um die In­sti­tu­ti­on Ruhr­tri­en­na­le zu schüt­zen und auch sich selbst: »Wer wird schon gern als An­ti­se­mi­tin hin­ge­stellt?« Sie habe sich ner­vös ma­chen las­sen.

Zum Um­den­ken brach­ten sie die Mails vie­ler Künst­ler, die sie eben­falls für ihr Pro­gramm ge­bucht hat­te und die nun ge­gen die Aus­la­dung der Young Fa­thers pro­tes­tier­ten; die meis­ten die­ser Mail­schrei­ber stam­men aus dem ara­bi­schen Raum. Carp hat­te sich be­wusst da­für ent­schie­den, vie­le Künst­ler von dort ein­zu­la­den: »Ich woll­te dem glo­ba­len Sü­den eine Stim­me ge­ben we­gen der be­schä­men­den Ab­schot­tungs­po­li­tik, die Eu­ro­pa in­zwi­schen wie­der be­treibt.« Die­se Ent­schei­dung flog ihr plötz­lich um die Oh­ren.

Pro­test­mails schick­ten aber auch der bel­gi­sche Cho­reo­graf Alain Pla­tel und der US-ame­ri­ka­ni­sche Kom­po­nist El­liott Sharp. Die Aus­la­dung der Young Fa­thers habe ihn »ziem­lich be­un­ru­higt«, schrieb die­ser: Es müs­se mög­lich sein, die is­rae­li­sche Re­gie­rung zu kri­ti­sie­ren, ohne als An­ti­se­mit be­zeich­net zu wer­den. Und das, schob er hin­ter­her, schrei­be er »als Jude und Sohn ei­nes Ho­lo­caust-Über­le­ben­den«.

Carp ha­ben die Mails sehr be­wegt. »Ich muss­te mei­ne Credi­bi­li­ty bei den Künst­lern wie­der­her­stel­len.« Sie sei Ku­ra­to­rin und neh­me die Wort­her­kunft ernst: Cura­re heißt küm­mern.

So selbst­los, wie das klingt, war das Vor­ge­hen frei­lich nicht. Hät­te sie auf der Aus­la­dung be­stan­den, sagt sie, hät­te sie wahr­schein­lich ein Drit­tel ih­res Pro­gramms ver­lo­ren – vie­le Künst­ler aus der ara­bi­schen Welt hät­ten sich wohl mit den schot­ti­schen Is­ra­el­boy­kot­teu­ren so­li­da­ri­siert. We­ni­ge Wo­chen vor Be­ginn wäre das Fes­ti­val be­droht ge­we­sen. »Wenn ich völ­lig über­zeugt ge­we­sen wäre, dass die Young Fa­thers an­ti­se­mi­tisch sind, hät­te ich das in Kauf ge­nom­men.« Aber so? »So­lan­ge Künst­ler nicht auf der Büh­ne Pro­pa­gan­da ma­chen, so­lan­ge habe ich kein Recht, Künst­lern die Büh­ne zu ver­bie­ten.«

Was bleibt, ist die Fra­ge, was an­de­re Fes­ti­val­ma­cher aus Carps Schla­mas­sel ler­nen kön­nen? Viel­leicht hät­te Carp di­rekt eine Po­di­ums­dis­kus­si­on nach­schie­ben, noch bes­ser: eine is­rae­li­sche Grup­pe nach­no­mi­nie­ren sol­len – und dann schau­en, wie die Young Fa­thers re­agie­ren. Ver­mut­lich hät­ten sie ih­ren Auf­tritt von al­lein ab­ge­sagt.

Aber auch bau­ern­schlau ist man meist erst hin­ter­her.

Tobias Becker, Andreas Borcholte, Georg Diez, Jurek Skrobala